Irrfahrt
Luftlinie entfernt, saß Gerber in seinem Seeräubernest. Ob man sich mal besuchen konnte? Diese vage Aussicht tröstete Helmut ein wenig.
In Lorient waren die zwanzig Mann schnell eingesetzt. Um gelernte Elektriker riß man sich geradezu. Auch um Torpedomechaniker.
Sogar ein Fleischergeselle, der als Hilfskoch gearbeitet hatte, kam sofort unter. Andere wieder kannten durch frühere Seekommandos irgendwelche Offiziere und ließen sich einfach anfordern. Ein Ziehharmonikaspieler wurde mitgenommen, noch ehe er seinen Seesack auspacken konnte. Der Kommandant versprach sich von dem Musikanten eine bessere Stimmung an Bord ..
Für Koppelmann interessierte sich niemand.
«Beruf?»
«Schüler.»
«Damit sind Sie völlig unbrauchbar», sagte der Verwaltungsfeldwebel. «Ja, wenn Sie einen vernünftigen Beruf erlernt hätten ... Was machen wir nun mit Ihnen?»
Schließlich fand sich doch ein Boot, das in den nächsten Tagen auslaufen sollte. Es hatte bestimmte Spezialisten angefordert, die aber nicht zur Verfügung standen. Der Feldwebel schickte den unglücklich dreinblickenden Koppelmann dorthin, damit die Zahl der Besatzungsmitglieder einigermaßen stimmte.
Der Kommandant, ein Kapitänleutnant namens Thieme, holte Koppelmann in sein winziges Schapp. «Aha, Sie sind wohl mein Tiefenruder-Spezialist?»
Koppelmann verneinte.
«Dann können Sie doch nur der Torpedomechaniker sein, den ich angefordert habe.»
Auch das mußte Koppelmann verneinen.
«Mann, was haben Sie denn gelernt?»
«Beruf Schüler», sagte Koppelmann wahrheitsgemäß.
«Ach, du meine Güte», seufzte der Kommandant. «Mit Ihnen können wir Null Komma Null Null gar nichts anfangen!»
Trotzdem wurde Koppelmann von der Besatzung freundschaftlich aufgenommen. Das Boot war unterbesetzt, und jede zusätzliche Hand war hochwillkommen.
«Geh bloß dem Alten aus dem Wege...» Die älteren Besatzungsmitglieder hielten es für ihre Pflicht, den Neuling einzuweisen. «Dafür gibst du einen ordentlichen Einstand, klar!» Helmut war bereit, noch weit mehr zu versprechen. Informationen über Vorgesetzte waren unbezahlbar.
«Am besten, du machst dich unsichtbar. Der Alte kann scheißfreundlich sein, aber plötzlich, wie aus heiterem Himmel, wenn du nur ein winziges Ding versiebt hast, vielleicht in einem halben Satz die korrekte Anrede versäumst, verpaßt er dir sieben Tage Bau. Junge, ich kenne drei Dutzend Leute bei der Kriegsmarine, denen hat er durch so was die Beförderung versaut!»
Thieme war ein «scharfer Hund». Manche sagten das mit Anerkennung, die meisten mit Angst, einige mit Neid. Lutz Thieme hatte eine sagenhafte Karriere gemacht. 1937, als kaum zwei U-Flottillen von kümmerlichen Einbäumen mit 250 Tonnen Wasserverdrängung existierten, war er noch Fähnleinführer bei den Pimpfen. Das Jahr darauf wurde er eingezogen und meldete sich nach seiner Grundausbildung zu den U-Booten. Er hatte gleich die richtige Witterung, wo in einem künftigen Krieg die Chancen lagen. Als Oberleutnant erhielt er Anfang 1942 schon ein selbständiges Kommando. Erst vor wenigen Wochen war er außerhalb der normalen Reihe zum Kapitänleutnant befördert worden.
Viele Besatzungsmitglieder hatten den Kommandanten in schlechter Erinnerung. «Dauert nicht mehr lange, dann kriegt er Halsschmerzen», sagte ein Maat. Es klang, als wollte er Thieme am liebsten erwürgen.
Nur einer konnte sich bei Thieme gelegentlich etwas erlauben: der I WO, Oberleutnant Berger. Er kam von einem Vorpostenboot, wo er zwei Jahre als Wachoffizier gedient hatte. In die Kriegsmarine war er schon eher eingetreten als Thieme, war auch ein Jahr älter. Es wirkte komisch, wenn Berger vom «Alten» sprach.
Die Unterseeboote brauchten Kommandanten, für die Zukunft. So schnell konnte man die wenigen U -Boot-Offiziere nicht aufrücken lassen. Der I WO war eine Art Kommandantenschüler. Thieme erhielt den Auftrag, ihn taktisch zu schulen und auf den Kommandantenlehrgang vorzubereiten. Der BdU-Stab setzte Vertrauen in Thieme. Vom Ergebnis der Ausbildung hing es ab, was man später im Kreise der hohen Herren von seinen pädagogischen Fähigkeiten hielt. Der I WO hatte Thieme also ein wenig in der Hand. Trotzdem blieb der Oberleutnant seinem Kommandanten gegenüber immer zurückhaltend ünd redete ihn stets in der dritten Person an, was offiziell schon längst abgeschafft war.
Helmut Koppelmann staunte. Ja, das war eben die strenge Erziehung bei der Marine, die unbedingte Achtung vor dem
Weitere Kostenlose Bücher