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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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keinen Grad freundlicher. Zwar mußten sie den gefangenen Fisch wieder ins Wasser werfen, aber solange er noch in ihrem Gewahrsam steckte, ließen sie die schlechte Laune an ihm aus.
    «Hier sind Ihre Marschpapiere! Verpflegung wird Ihnen ausgehändigt!» Mit einem kräftigen Stoß beförderten sie ihren unfreiwilligen Logiergast auf die Straße.
    Die Irrfahrt des Matrosen Heinz Apelt dauerte zehn Tage. Spätabends langte er in der kleinen holländischen Hafenstadt an, die in seinen Papieren vermerkt stand. In der Wehrmachtbaracke am Bahnhof fand er Unterkunft. Ob er Läuse hätte, wollte der Feldwebel wissen: Kopfläuse, Kleiderläuse oder noch andere, weiter unten am Körper beheimatete Tierchen? Apelt verneinte mit gutem Gewissen. Daraufhin wies ihm der Feldwebel ein leeres Doppelstockbett zu. Apelt kletterte nach oben, und wenig später schlief er wie ein Toter.
    Am anderen Morgen stellte er fest, daß er über Nacht Gesellschaf t bekommen hatte: einen Obergefreiten der Marine mit dem Abzeichen des Torpedomechanikers. Leise erzählte er ihm, weshalb er hier war. «So ein Zufall», sagte der Obergefreite, «ich will zu derselben Einheit.»
    Heinz war hocherfreut. Am liebsten wäre er gleich zum Hafen gestürmt, doch der Obergefreite hielt ihn zurück. «Immer langsam, Kleiner! Laß mich nur machen. In ein paar Stunden kommen wir auch noch zurecht. Erst wird gefrühstückt.» Mit der größten Selbstverständlichkeit verlangte er in der Unterkunft ein Frühstück, und er erhielt es auch. Heinz merkte, daß er trotz der fünf Monate Ausbildung bei der Marine noch viel lernen mußte.
    Sein neuer Freund strömte Ruhe und Sicherheit aus. Vor allem schien er über die Einheit einiges zu wissen.
    Kurz nach neun Uhr brachen die beiden auf. Gemächlich gingen sie durch das blitzsaubere Städtchen. Viel war hier nicht los. Wehrmachtkino, einige Lokale, die noch geschlossen hatten. Heinz bedauerte das nicht, er war sowieso pleite. In dem Durcheinander hatte niemand daran gedacht, ihm den fälligen Sold auszuzahlen.
    Im Hafen war von Schnellbooten beim besten Willen nichts zu entdecken. Dafür lag in Zweierpäckchen ein Verband von Schleppern an der Pier. Apelt stutzte. Die Fahrzeuge glichen aufs Haar den Schleppern, die er in Brunsbüttel gesehen hatte.
    Der Obergefreite setzte den Seesack ab und hielt genau auf die Schlepper zu. Freundschaftlich begrüßte er einen Zivilisten, der als eine Art Wachposten an der Pier stand. Apelt blieb in gebührendem Abstand stehen.
    Der Posten rief jemanden. Ein kleiner, untersetzter Mann erschien an Deck und musterte die beiden Ankömmlinge. Dann stemmte er seine Fäuste in die Hüften und brüllte Apelt an: «Mann, Sie haben uns gerade noch gefehlt! Spunde können wir nicht brauchen. Hier ist kein Sanatorium! Bei uns wird strammer Dienst gemacht!»
    Apelt war völlig verdattert. Wie kam dieser krummbeinige Zivilist dazu, ihn derart anzubrüllen? Immerhin war er Lehrgangsbester!
    Er unterließ es, den letzten Satz ausdrücklich zu bestätigen. Sofort ergoß sich eine neue Schimpfkanonade über ihn.
    «Jawohl», sagte Apelt mechanisch.
    «Es heißt: Jawohl, Herr Bootsmaat!» schrie der Krummbeinige.
    Trotz dieses barschen Empfanges wurde er eingewiesen. Der Obergefreite kam auf einen anderen Schlepper. Heinz war traurig: er spürte, daß er einen Freund dringend nötig hatte.
    Seine trüben Ahnungen bestätigten sich. Er war hier wirklich überflüssig. Im Logis war keine einzige Koje frei, auch die Spinde waren alle belegt. Für ihn blieb nur eine Hängematte, die er nicht zu zurren verstand, und eine halbe Backskiste, in der das Kojenzeug aufbewahrt wurde. Wollte er ein Hemd herausnehmen, das ganz unten lag, mußte er alle Klamotten in der Kiste säuberlich aus- und wieder einpacken. Dazu brauchte er jedesmal mehrere Minuten.
    Apelt erhielt das gleiche Räuberzivil, das alle Besatzungsmitglieder trugen. Allmählich kam er dahinter, daß die Flottille tatsächlich aus Schnellbooten bestand. Die Besatzungen hatten sie auf der Werft in Vegesack übernommen und in mehrwöchigen Übungen eingefahren. Dann wurden die Fahrzeuge noch einmal in die Werft geholt und als Hafenschlepper getarnt. Ein riesiger Schornstein wurde hinter die Brücke gesetzt, die Torpedorohre verschwanden in langen, eckigen Blechkästen, alle Geschütze waren verborgen. Die Verlegung der Flottille sollte möglichst unauffällig vor sich gehen. Damit sie durch die Uniformen keinen Verdacht erregte, hatte man der Besatzung

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