Irrfahrt
Jetzt war kein Zweifel mehr möglich. «Rauchfahne in hundertdreißig Grad!» rief er aufgeregt.
Augenblicklich richteten alle vier Posten ihre Gläser nach Steuerbord achteraus. Tatsächlich! Immer größer wurde die dunkle Wolke über der Kimm. Kurz darauf erkannte Helmut eine zweite, schwächere Fahne neben der ersten. Der Kommandant wurde gerufen. Eine halbe Stunde später standen fast ein Dutzend schmale Rauchwolken am Horizont. Der gesuchte Geleitzug war gefunden.
Thieme hielt das Boot noch eine Zeitlang in größerem Abstand. Erst mußten Kurs und Geschwindigkeit des Konvois ermittelt werden. Offenbar war er auf dem Wege von der britischen Ostküste nach Lateinamerika oder dem Südatlantik. Der Kaleu schätzte acht Knoten Marschfahrt. Aus den Meldungen ging hervor, daß mehr als vierzig Fahrzeuge zum Geleit zählten, außerdem ein Zerstörer und vier Korvetten sowie ein älteres Fahrzeug zur Sicherung.
Auch andere Boote waren auf das Geleit angesetzt, aber bisher war noch keine Meldung durchgekommen, daß jemand Fühlung aufgenommen hatte. Thieme war der erste. Allein konnte er nichts ausrichten, das war völlig klar. Gegen die Sicherung von sechs Kriegsschiffen war er machtlos. Immerhin wollte er den Verband etwas genauer beäugen und Angaben sammeln, die für einen Rudelangriff von Bedeutung sein würden.
Ein mittelgroßer Dampfer zuckelte etwa drei Meilen hinter dem Geleit her. Es war schon spät am Nachmittag, als das Boot auf Sehrohrtiefe genügend aufkam, um den Außenseiter erkennen zu können. Der I WO, Oberleutnant Berger, saß im Turm und nahm die Ankündigung des Dampfers auf. Koppelmann durfte ihm dabei helfen.
Normalbug - 1ibso1, geschätzte Größe 2000 bis 3000 Bruttoregistertonnen. Schnell hatte Helmut die zugehörige Schiffsklasse aufgeschlagen. Berger hielt dem Kommandanten die entsprechende Seite im Gröner dicht vor die Augen. Die Diagnose war einwandfrei gestellt: Dampfer «Bactria», Cunard-Linie, 2402 BRT, 89 Meter lang, Tiefgang vollbeladen 6 Meter. Das war zwar nur ein kleiner Happen, aber für den Anfang besser als gar nichts.
Thieme ließ den Dampfer ziehen und wartete, bis er sicheren Abstand vom Geleit hatte. Dann gab er Befehl zum Auftauchen. Immer wieder blickte er mißtrauisch auf den Einzelfahrer. «Da war doch mal irgend so ein Schrieb wegen U-Boot-Fallen im Geleitzug.» Auch Berger entsann sich.
Der Hinweis des BdU war bald gefunden: Die Engländer ließen schwerbewaffnete und mit zahlreichen Wasserbomben und guten Horchgeräten ausgerüstete Dampfer in Geleitzügen mitlaufen. Diese hatten sich bei der Annäherung von U-Booten unter Vortäuschung eines Maschinenschadens oder anderer Schwierigkeiten aus dem Geleit zurtickfallen zu lassen und ein lockendes Ziel darzubieten.
Der Kaleu witterte eine solche Falle. Vor Einbruch der Dunkelheit hätte eigentlich der Schwanzspitzen-Charly der die Sicherung achteraus betreute, seinen Einzelgänger zu beschleunigter Fahrt antreiben müssen. Nichts dergleichen geschah. Das bestärkte natürlich das immer noch wache Mißtrauen der U-Boot-Besatzung. Auf der Brücke kam eine lebhafte Unterhaltung in Gang. Thieme liebte das. Schließlich hatte er die Nebenaufgabe, seine Offiziere taktisch zu schulen. In einer Diskussion der verschiedenen Möglichkeiten sah er die beste Lösung dafür.
Wie schnell mochte der Dampfer wohl sein? Im Gröner war keine Angabe zu finden, auch nicht in den Nachträgen. Nach Typ, Baujahr und Werf t sowie nach vergleichbaren Einheiten, die auf derselben Route fuhren, kam der geschätzte Wert von neun Knoten zustande. Es war also nicht anzunehmen, daß der nachzuckelnde Dampfer eine Falle sein könnte. Hierfür hätte man wohl ein schnelleres Fahrzeug gewählt .
Eine mächtige Rauchwolke wurde voraus sichtbar. Thieme ließ sofort tauchen und lief mit Höchstfahrt seitwärts ab. Seit kurzer Zeit war es bei den Geleitzügen üblich, daß der führende Zerstörer, der «Feger», kurz vor Einbruch der Dunkelheit eine Runde um das Geleit fuhr und besonders den Raum einige Meilen hinter dem Verband mit seinen Geritten in großen Schleifen absuchte. Ein Zerstörer war ein viel zu gefährlicher Gegner, als daß man leichtfertig mit ihm angebändelt hätte.
Sorgfältig wurden mit dem Horchgerät Richtung und Entfernung seiner Schraubengeräusche festgestellt. Koppelmann saß auf seinem winzigen Platz im Turm und schrieb alles mit. Dadurch war später jede Bewegung des feindlichen Fahrzeuges, jede Kursänderung des
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