Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
Vom Netzwerk:
Mißerfolge waren zu schildern. Thieme erfuhr jetzt, daß beim Angrif f auf den Geleitzug zwei Schwesterboote vernichtet worden waren. Außer ihm hatte nur ein weiteres Boot zählbare Erfolge aufzuweisen. «Ein mageres Ergebnis», sagte der Chef verdrossen. Wie erwartet, biß er sich an den neun Torpedos fest. Thieme nahm die Kritik gelassen hin. Der Chef kannte die gegenwärtigen Bedingungen im Atlantik nicht aus eigenem Erleben. Für ihn war noch immer 1940, als er selbst Kommandant war. Seitdem saß er in seiner schönen Villa in Lorient, weitab vom Schuß.
    Thieme wurde nach Paris zum BdU-Stab befohlen; Admiral Dönitz wollte ihn sehen. Zuerst horchte er ein wenig in den Vorzimmern, wo er Bekannte hatte, meistens ehemalige Vorgesetzte. Die Stimmung schien optimistisch. «Der U-Boot-Krieg strebt seinem Höhepunkt entgegen. Zahlreiche neue Fahrzeuge kommen in Kürze zum Einsatz. Wenn die Versenkungsziffer je Seetag und Boot gehalten wird, haben wir England in einem Jahr besiegt. Zwar gibt es einige neue Abwehrwaffen, doch hat sich bisher gegen jede Abwehr ein Mittel gefunden. Wie gesagt, in einem Jahr ... »
    Dann stand Thieme im Empfangszimmer. Dönitz ließ ihn warten, das gehörte zu seinen Gepflogenheiten. Endlich betrat er das Zimmer, gefolgt von zwei Adjutanten. Der einundfünfzigjährige Befehlshaber war gealtert. Mit seinem dünnen Kopfhaar, dem schmalen Kinn und der langen spitzen Nase ähnelte er einem Raubvogel.
    Thieme hatte einen schlechten Tag erwischt. Dönitz war ungnädig. «Nur zwei Handelsschiffe auf den Meeresgrund geschickt? Sehr dürftig, Thieme!» Die Korvette erwähnte er mit keinem Wort, sie zählte offenbar nicht.
    Aus Zwischenfragen und kritischen Bemerkungen konnte Thieme entnehmen, daß der BdU seine Sorgen hatte. Die Neubauten gingen ihm nicht schnell genug. Ungünstiges Wetter drückte die Versenkungsergebnisse herunter, verstärkte Fliegertätigkeit des Gegners setzte den Booten im Atlantik und im Mittelmeer hart zu. Ganz zu schweigen von den verlustreichen Einsätzen im Nordmeer. Bei der Rudeltaktik kamen von zwanzig Booten, die auf einen Geleitzug angesetzt waren, immer nur einige zum Schuß. Wenngleich die Versenkungsziffern höher lagen als 1941, stand der Aufwand doch nicht im Verhältnis zum erwarteten Ergebnis.
    Hitler und Großadmiral Raeder machten dem BdU deswegen Vorwürfe. Besonders Raeder. Die Spannungen zwischen dem Oberbefehlshaber der Kriegsmarine und Dönitz waren bekannt. Im BdU-Stab sprach man ziemlich offen darüber. Erich Raeder, sechsundsechzig Jahre, galt als altmodisch, als einer, der die Zeichen der Zeit nicht begriff. Noch immer hielt er Schlachtschiffe für entscheidend, obwohl die Praxis des modernen Seekrieges das Gegenteil bewiesen hatte. Jedenfalls für Deutschland. Ohne eigene Marineluftwaffe, ohne Flugzeugträger waren die großen Überwasserschiffe machtlos. Nun lagen sie, auf Befehl Hitlers, in norwegischen Häfen an der Kette.
    Dönitz hingegen sah Deutschlands Chance im Unterwasserkrieg. Schon vor Jahren hatte er eine zahlenmäßig starke U-Boot-Waffe gefordert. Er gab Raeder die Schuld, das U-Boot-Bauprogramm nicht mit dem gehörigen Nachdruck betrieben zu haben.
    Begierig schnappte Thieme die Neuigkeiten auf. Jetzt hatte er die Erklärung, warum vieles nicht so lief, wie es laufen sollte. Raeder war ein Hemmschuh. Der Mann, auf den sich ein nationalsozialistischer Marineoffizier zu orientieren hatte, war Karl Dönitz. Dessen Zielstrebigkeit und unerbittliche Strenge, vor der die Untergebenen zitterten, entsprachen dem Führerideal.
    Dönitz nahm die Berichterstattung zum Anlaß, seinem jungen Kommandanten den kürzlich erlassenen BdUBefehl zu erläutern. «Jegliche Rettung von schiffbrüchigen Gegnern hat zu unterbleiben. Nicht nur die Schiffe, auch ihre Besatzungen müssen vernichtet werden. Irgendwelche Skrupel gegenüber zivilen Besatzungen von Handelsschiffen sind also fehl am Platze ... »
    Thieme hatte keine Skrupel. Er war ein gelehriger Schüler von Dönitz, der sich rühmte, schon vor 1933, zu Zeiten der Weimarer Reichsmarine, seine Offiziere im Geiste des Nationalsozialismus erzogen zu haben.
     
    Nach Thiemes Rückkehr setzte der Flottillenchef für die Mannschaften einen kurzen Appell an. Im Anschluß wurden Orden verliehen. Koppelmann erhielt zu seiner Überraschung nicht nur das U-Boot-Abzeichen, sondern auch das EK 1. «Weil du den Geleitzug ausgemacht hast, mein Sohn!» Wie das klang, aus dem Munde von Thieme. Dabei war er nur

Weitere Kostenlose Bücher