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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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einzige, der aus eigener Erfahrung urteilen konnte. Von Prisenordnung, Anhalten durch einen Schuß vor den Bug oder Durchsuchung war überhaupt nicht mehr die Rede.
    Paragraph 2, auszugsweise: «Insbesondere darf ein Kriegsschiff, ob Überwasserfahrzeug oder Unterseeboot, kein Handelsschif f versenken oder der Navigation unfähig machen, ohne zuerst die Passagiere, die Mannschaf und die Schiffspapiere an einen sicheren Platz gebracht zu haben. Für diesen Zweck werden die Boote nicht als sicherer Platz betrachtet, außer die Sicherheit der Passagiere und Besatzung ist gewährleistet in dem herrschenden Seegang und den Wetterbedingungen oder durch die Nähe des Landes bzw. die Anwesenheit eines anderen Schiffes.»
    Auch diese Forderungen waren inzwischen überholt. Koppelmann erinnerte sich deutlich an den Befehl des BdU, den er in Lorient gelesen hatte: «Jeglicher Rettungsversuch von Angehörigen versenkter Schiffe hat zu unterbleiben. Rettung widerspricht den primitivsten Forderungen der Kriegführung nach Vernichtung feindlicher Schiffe und Besatzungen.»
    Nach diesem Befehl hatte Kapitänleutnant Thieme gehandelt, als er die Korvette versenkte. Dennoch wurde Helmut ein bedrückendes Gefühl nicht los. Einerseits gab es die Paragraphen, aber die Praxis sah ganz anders aus. Der alte Kapitän hatte das heikle Problem mit den Worten umschifft: «Die moderne Kriegführung ist dem Recht in vielen Punkten davongeeilt. Trotzdem bleibt eine Stützung der neuerdings getroffenen Maßnahmen durch Bestimmungen des Völkerrechts nach wie vor wünschenswert.»
    Gerade das machte man ihm jetzt zum Vorwurf.
    Wortführer war ein junger Kapitänleutnant mit dem U-Boot-Frontabzeichen. Der Tradition entsprechend ließ er sich ein flottes Bärtchen stehen. Er benutzte seinen Unterricht über Taktik und Einsatz der Boote, um das Thema «Völkerrecht» noch einmal auf die Back zu bringen.
    Rettung der Schiffbrüchigen?
    «Wir können uns nicht immer um die Überlebenden kümmern, eigentlich niemals. In diesem Krieg müssen wir vor allem hart sein. Neue Schiffe lassen sich verhältnismäßig leicht bauen. Neue Besatzungen zu finden ist auf die Dauer wesentlich schwieriger. Deshalb ist die Vernichtung der Besatzung wichtiger als die Versenkung der Schiffe!» Der Kapitänleutnant machte eine Pause und blickte die steif dasitzenden Eleven zwingend an. «Kriegsentscheidende Maßnahmen müssen durchgeführt werden, auch wenn sich das Völkerrecht nicht auf sie anwenden läßt... »
    Niemand sagte einen Ton. Alle wußten: Das war das letzte Wort in dieser Angelegenheit. Inter arma silent leges, dachte Helmut und lächelte bitter.
     
    Gerhard Gerber fühlte sich vernachlässigt. Seit Heinz Apelt gefallen war, hatte er den Freund um so nötiger, der aber hockte Abend für Abend mit seinen U-BootKameraden zusammen.
    Um die freien Stunden auszufüllen, begann Gerhard sich gründlicher mit der Geschichte des Seekrieges zu befassen. In der Bibliothek fand er reichlich Literatur, nicht nur deutsche Werke, sondern auch Übersetzungen und sogar fremdsprachige Originale. Letztere waren für die Ausbilder bestimmt, sie enthielten einen besonderen Vermerk.
    Die Beherrschung der Seekriegsgeschichte wurde zwar nicht bis in alle Einzelheiten gefordert, doch sicher bot sich Gelegenheit, mit überdurchschnittlichen Kenntnissen aufzuwarten.Ein bißehen ließ Gerber sich auch von dem Ehrgeiz beflügeln,seinen abtrünnigen Freund auf einem bestimmten Gebiet auszustechen.
    Womit fängt man am besten an? Mit dem Anfang natürlich. Der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm kaufte in Holland fünfzehn Fregatten für Kaperfahrten. Rückständige Zahlungen der Hansestadt Hamburg oder des Königreiches Spanien trieb er durch Piratenakte ein. Die Küste des Schuldners wurde lange Zeit blockiert. Der andere setzte sich zur Wehr, indem er seine wertvollen Fahrzeuge in Konvois zusammenfaßte. Parallelen zur Gegenwart drängten sich geradezu auf.
    Schließlich kaufte der Kurfürst die Stadt Emden, um einen Stützpunkt an der Nordsee zu besitzen. Er ließ Schiffe bauen und gründete die Brandenburgisch-Afrikanische Handelscompagnie. Die meisten Kapitäne waren Holländer. An der Goldküste - Gerber schlug hierzu den Atlas auf - wurde Groß-Friedrichsburg befestigt. Ein gewisser Major von der Groeben hißte die brandenburgische Flagge.
    Womit handelte die Compagnie eigentlich? Warum fuhren ihre Schiffe ständig nach den Antillen? Davon stand nichts in dem dicken, in

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