Irrfahrt
verbissen gekämpft. Der «russische Koloß» war allen Prophezeiungen zum Trotz nicht zusammengebrochen. Er wehrte sich geschickt und schlug mit zunehmender Kraf t zurück.
Die Alliierten waren in Nordafrika gelandet, sehr zur Überraschung der Achse Berlin - Rom, und kein U-Boot hatte es vermocht, den Landungseinheiten irgendeinen nennenswerten Schaden zuzufügen.
Gerbers Erwartung, daß die großmäuligen U-BootFahrer einen Dämpfer bekämen, erfüllte sich nicht. Im Gegenteil: Nun war klar bewiesen, daß die Verstärkung der U-Boot-Waffe eine kriegsentscheidende Notwendigkeit war. Statt das Versagen der Boote zu analysieren, hielt der Chef in der Aula eine von Siegeszuversicht triefende Rede und hob die jungen U-Boot-Fahrer vor den anderen heraus. Helmut Koppelmann wurde sogar namentlich genannt.
Gerber fand diese Herausstellung ungerecht. Über die Minensucher hatte noch kein Ausbilder ein freundliches Wort verloren. Sie wurden eben benötigt, mußten ihre Pflicht tun, und damit basta! Gerbers Kameraden, die in der Nordsee, im Mittelmeer oder vor Norwegen nach Minen gefischt hatten, waren genauso empört. Gemeinsam dachten sie an Rache. Eine Gelegenheit sollte sich bald ergeben.
Die Operation «Weserübung» wurde behandelt, jene schlagartige Besetzung Dänemarks und Norwegens im April 1940. Der Ausbilder hatte das Unternehmen mitgemacht. Er sprach von «glorreichen Zeiten», «kühnem Wagnis» und lobte seinen obersten Dienstherrn Erich Raeder, der den Plan am Schreibtisch ausgetüftelt hatte. Gründe für die Operation? «Britische Kriegsfahrzeuge hatten wenige Tage vorher die Küstengewässer Norwegens vermint, um den Schiffsverkehr zwischen deutschen Häfen und Narvik zu schädigen», sagte der Ausbilder. «Mit diesem völkerrechtswidrigen Handeln in neutralen Hoheitsgewässern gaben die Briten dem Deutschen Reich die Berechtigung, Norwegen zu besetzen.»
Ein Offiziersschüler konterte: «Das war nur eine Finte! Die Briten legten gar keine Minen, sie täuschten diese Aktion lediglich vor, um unsere Küstenschiffahrt zu irritieren, was völkerrechtlich belanglos ist.»
Der Ausbilder musterte den jungen Mann aufmerksam, sagte aber nichts. Eine Stunde später wurde er auf die Schreibstube bestellt: Marschpapiere empfangen, Seesack packen, zurück an die Front! Die Marineschule fackelte nicht lange, wenn jemand aus der Reihe tanzen wollte. Höfliche Fragen waren allenfalls erlaubt, Kritik nicht.
Die Abkommandierung löste verschiedene Reaktionen aus. Nur wenige hatten den Mut, ihren Kameraden zu verteidigen, wobei sie sich vorsichtig auf den Rechtsstandpunkt stellten. «Die Kriegsschule ist eine Auslese», hielt man ihnen entgegen, «wer nicht in unsere Truppe paßt, wird ausgemerzt, das ist alte Marinetradition. Das künftige Offizierskorps muß homogen sein. Diskussionen um Rechtsfragen untergraben die Disziplin.»
Andere legten sich noch weitaus schärfer ins Zeug: «Völkerrecht, wenn ich das schon höre! Eine Erfindung irgendwelcher Tintenkulis! Recht ist, was dem deutschen Volk nützt!» Jenes Zitat von Dr. Goebbels, das im Unterricht gefallen war, wurde von der Schulleitung ausdrücklich bestätigt. «Na bitte, das ist also die Auffassung der obersten Führung. Paragraphenkacker, die uns hier Völkerrecht beibiegen wollen, müßten wir einfach kielholen!»
Dieser Meinung schloß sich die Mehrheit an. "Viel zu vornehm, der Knilch!»
Die Anspielung bezog sich auf einen alten Kapitän, dem die schwierige Aufgabe zufiel, mitten im Krieg «Völkerrecht» lehren zu müssen. Der Kapitän war Jurist und hatte fast nur an Land gedient. Mit seinen verbindlichen Manieren, der gewählten Ausdrucksweise und seiner ganzen Erscheinung hob er sich deutlich von den «befahrenen» Ausbildern ab.
Helmut Koppelmann mochte den alten Mann gern. Er entsann sich der ersten Lektionen, als der Kapitän über die Londoner Flottenkonferenz sprach. Damals, im Jahre 1930,wurden verbindliche Regeln über die Einsätze der U-Boote gegen Handelsschiffe während des Krieges festgelegt, denen Deutschland 1936 zustimmte.
Koppelmann hatte sich den Text aufgeschrieben. Paragraph 1 lautete: «In ihrem Vorgehen gegen Handelsschiffe müssen sich die U-Boote an die Regeln des Völkerrechts halten, denen Überwasserschiffe unterworfen sind.»
Im ersten Weltkrieg hatten sich die Unterseeboote keineswegs an solche Regeln gehalten, wie die Erklärung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges bewies. Und heute? Koppelmann war nicht der
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