Irrflug
Wohnung auf seinem chaotischen Schreibtisch eine Notiz gefunden, die etwas seltsam erscheint.”
Sein Vorgesetzter runzelte erwartungsfroh die Stirn.
Linkohr zog ein verknülltes Stück Papier aus der rechten Hosentasche. Er hatte sich darauf einige Stichworte notiert. „Eindeutig lesbar ist der Name Andy, vom Nachnamen jedoch nur ein Teil ›Ober‹ oder so ähnlich, vielleicht ›Oberhauser‹, ›Obermann‹, ›Obermaier‹. Dahinter steht aber eine Telefonnummer, die wir inzwischen ermittelt haben: Sie gehört tatsächlich einem Obermayer, Vornamen Andy, wohnhaft in der Nördlichen Ringstraße.”
Häberle überlegte „Und was ist das Merkwürdige daran?”, wollte er wissen.
Linkohr faltete sein Notizblatt wieder zusammen. „Dass da ein Geldbetrag dabeisteht: 50.000 Euro.”
Häberle lehnte sich zurück. „Dann fragen wir diesen Obermayer halt mal, was es damit auf sich hat. Schließlich hat der Mosbrucker das Geld dringend nötig gehabt, wie wir dem Kontoauszug entnehmen können.”
Der Soko-Chef stand auf. „Kommen Sie mit”, sagte er und stürmte aus dem Zimmer.
Sie hasteten über den Flur und über die Treppe hinab in den Hof, in dem die Hitze zu stehen schien. Kein Lüftchen bewegte sich. Häberle setzte sich hinters Steuer des Mercedes, Linkohr nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Er nannte die Adresse dieses Obermayers. Die Nördliche Ringstraße war keinen Kilometer vom Polizeigebäude entfernt. Sie mussten dazu über mehrere Seitenstraßen, die sich nach dem Rechts-vor-links-System kreuzten, leicht bergaufwärts fahren, kamen am Verlagsgebäude der örtlichen Tageszeitung vorbei und bogen danach links ab, was im samstäglichen Verkehr eine gewisse Geduld erforderte.
Die Nördliche Ringstraße war so etwas wie eine Tangente, die am Zentrum der Stadt vorbeiführte und die auch das vornehme Viertel ›Hailing‹ erschloss.
Die Nummer, in der Obermayer wohnte, fanden die beiden Kriminalisten kurz vor dem neuen Kreisverkehr bei Hohenstaufenhalle und Stadtbad. Ihr Ziel war demnach ein Neubau-Komplex auf der linken Seite. Häberle stellte den Mercedes am rechten Straßenrand ab, allerdings im eingeschränkten Halteverbot.
Sie mussten eine Zeit lang warten, bis sie die stark frequentierte Straße überqueren konnten. Häberle spürte bereits wieder, wie das schweißnasse Hemd an den Rücken klebte. Im Eingangsbereich des Mehrfamilienhauses aus den frühen 90er-Jahren befanden sich mindestens zwei Dutzend Klingelknöpfe. Sie überflogen die Namen und entdeckten tatsächlich den gesuchten. Linkohr drückte auf den Knopf. Nach dem dritten Versuch krachte es im Lautsprecher der Sprechanlage und eine Stimme meldete sich. „Ja?”
„Herr Obermayer?”, fragte Häberle.
Der Mann im Lautsprecher zögerte. „Ja?”
„Dürfen wir mal reinkommen, Kriminalpolizei”, sagte Häberle.
Stille. Häberle setzte nach: „Haben Sie mich verstanden? Kriminalpolizei.”
„Ja, ja”, beeilte sich der Mann zu sagen, „kommen Sie rauf, ganz oben.” Der Türöffner summte.
Die beiden Kriminalisten schauten sich verwundert an. „Scheint nicht sehr begeistert zu sein”, stellte Linkohr fest.
Sie stiegen die mit billigen Fliesen ausgelegten Stufen nach oben. Die Wände waren weiß getüncht, die Lampen schlicht. Oben angekommen, stand ein junger schnauzbärtiger Mann vor ihnen, kreidebleich, nervös, ängstlich, verunsichert. Häberle schätzte ihn auf knapp 30. Er hatte schwarze Haare, die ziemlich zersaust wirkten.
Der Soko-Chef hielt ihm seinen Ausweis vor. „Kripo Göppingen”, sagte Häberle und wartete auf eine Reaktion. Doch der Mann blieb stumm und starrte die beiden Kriminalisten geradezu apathisch an.
„Dürfen wir einen Moment reinkommen?”, fragte Häberle.
Der Mann schien wieder zu sich gefunden zu haben. „Ja, selbstverständlich.” Er drehte sich um und ging voraus in eine Penthouse-Wohnung, die äußerst modern eingerichtet war. Weiße Möbel, viel Glas und Metall, Halogen-Lampen, helle Tapeten. Er führte die Kriminalisten in das Wohnzimmer, in dem eine Sitzgruppe aus weißem Leder um einen futuristischen Glastisch stand.
„Entschuldigen Sie, aber ich hatte nicht mit Besuch gerechnet”, begann Obermayer, als sie Platz genommen hatten. Er wirkte erschrocken und irritiert, „ist irgendetwas passiert?”
Häberle wollte nicht lange drumherum reden. In diesen Fällen, das wusste er aus Erfahrung, war die direkte Konfrontation das beste Mittel. „Günter Mosbrucker. Sagt Ihnen der
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