Irrflug
soll. Die Buchstabenkombination ›ES‹ konnte ein Wunschkennzeichen sein und möglicherweise ›Elvira Schneider‹ heißen. Häberle bat die Göppinger Kollegen des Streifendienstes, herausfinden zu lassen, ob dies zutreffen könnte. Ohne die Zahlenkombination freilich war dies nicht ganz einfach. Im ungünstigsten Fall mussten 999 Göppinger Fahrzeuge mit der Buchstabenfolge ›ES‹ abgecheckt werden. Über den Namen des Halters an dessen Autokennzeichen zu gelangen, erforderte, das wusste Häberle, den Umweg übers Finanzamt. Doch dies wäre frühestens übermorgen, am Montag, wieder möglich. Die Kollegen versprachen jedoch, ihr Möglichstes zu tun und eine Streife in der Faurndauer Straße vorbeizuschicken; möglicherweise parkte vor Elvira Schneiders Haus ein Fahrzeug mit einem solchen Kennzeichen. Linkohr hatte das Gespräch seines Chefs mit den Kollegen verfolgt. „Warum fragen wir die Frau Schneider nicht einfach selbst?”, überlegte er.
Häberle grinste. „Lassen wir sie doch erst mal in dem Glauben, dass wir nichts gegen sie vorliegen haben.”
32
Unter den vielen Schaulustigen, die sich an diesem Samstagnachmittag auf der Hahnweide eingefunden hatten, befand sich auch ein Liebespaar, das eng aneinander geschmiegt bis zum großen Tor vorging. Sie trugen beide lange Jeans; er ein hellblaues Hemd, sie ein ärmelloses weißes Oberteil. Die Frau hatte eine größere Tasche um die rechte Schulter hängen. Eine Zeit lang schaute das Paar interessiert auf das Flugfeld hinaus, das auf der gegenüberliegenden Seite von einem leicht tiefer gelegenen Waldgebiet begrenzt wurde, in dem sich die beliebten Bürgerseen befanden.
Dann lösten sich die beiden aus der Menschengruppe und gingen langsam, einen Arm um die Hüfte des jeweils anderen gelegt, zum Parkplatz zurück, wo die Autos im Sonnenlicht glänzten. Das Paar schlenderte auf dem vorbeiführenden Weg westwärts, also an der Rückseite der Flugplatz-Gebäude entlang, hinüber zum Areal der Motorflugschule. Der Mann öffnete ein Holztürchen, auf dem ein Schild das Betreten nur dem Flugpersonal gestattete. Auf Steinplatten, die in die Wiese gelegt waren, erreichten sie zwischen zwei Hallen den asphaltierten Vorplatz. Dort blieben sie stehen. Der Mann nahm seinen rechten Arm von der Hüfte seiner Begleiterin und deutete auf die abgestellten Motorflugzeuge, als erkläre er etwas. Am anderen Ende des Vorplatzes, wo das Verwaltungsgebäude an den Hallentrakt angebaut war, bereitete sich ein Pilot auf seinen Flug vor. Er hatte die Check-Liste in der Hand und ging, wie es vorgeschrieben war, um die Maschine. Seine Passagierin schaute ihm interessiert zu.
Das Liebespaar, das noch am Rande des Platzes stand, näherte sich nun langsam einer rot-weißen Cessna 172, die ganz vorne abgestellt war. Der Mann öffnete die linke Tür und blickte ins Cockpit. Alles sah danach aus, als seien die Flieger für Charter-Kunden bereitgestellt. Mit geübtem Griff schaltete er links den roten Kippschalter ein, der die elektrischen Funktionen in Gang setzte. Ein Blick auf die beiden Zeiger der Kraftstoff-Anzeige genügten ihm, um zu erkennen, dass die Tanks nahezu voll waren. Er drückte den Hauptschalter wieder in die ›Aus‹-Position zurück, drehte sich um und nickte seiner Partnerin zufrieden zu.
Häberle entschied, auch noch Jens Hilgenrainer einen Besuch abzustatten. Sie riefen kurz bei ihm an, um festzustellen, dass er an diesem Nachmittag zu Hause sein würde. Er meldete sich und war, wenngleich widerwillig, bereit, einen angeblichen Termin abzusagen, um die beiden Kriminalisten zu empfangen.
Häberle steuerte den Mercedes die B 10 filstalaufwärts nach Süßen. Die Luft am Albrand flimmerte, die bewaldeten Hänge waren in bläulichen Dunst gehüllt, der nahezu übergangslos in den blauen Himmel überging.
Hilgenrainer stand mit bunten Bermuda-Shorts und ebenso buntem Hemd vor ihnen. Er bat sie auf die Terrasse, die – wie an allen Neubauten der Nachbarschaft – noch ziemlich halbfertig wirkte. Die Männer setzten sich unter einem gelben Sonnenschirm um einen runden Kunststoff-Tisch. Die Stühle, das bemerkte Häberle sofort, waren seiner Leibesfülle nicht angemessen. Die Terrasse des Nebenhauses war leer, auch sonst, so stellte Hilgenrainer bei einem prüfenden Blick in die Umgebung fest, konnte wohl niemand das Gespräch belauschen.
„Sie wissen, was geschehen ist?”, fragte Häberle direkt und musste angesichts der Helle die Augen
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