Irrflug
Sache?”
„Ich erwarte, dass Sie mir sagen, wer Sie sind.” Die Stimme wurde nervös. Plötzlich waren alle Regeln des Funkverkehrs vergessen.
„Das werden Sie noch früh genug erfahren”, presste der Pilot hervor.
„Ich fordere Sie hiermit auf, sofort zur Hahnweide zurückzukehren.”
Der Pilot, der jetzt die Achalm links an sich vorbeiziehen sah, steckte das Mikrofon wortlos in die Halterung zurück.
„Hören Sie mich?”, krächzte die Stimme über ihm im Lautsprecher.
Jetzt mischte sich der Flugleiter vom Tower ein: „Delta Mike-Mike, kommen.”
Der Pilot wandte sich seiner schönen Begleiterin zu und fuhr ihr mit der rechten Hand übers Haar: „Lass’ sie faseln, Schatz. Der Himmel gehört uns.”
Während Linkohr einige Faxe las, die die Kirchheimer Kollegen nach Göppingen geschickt hatten, telefonierte Häberle von seinem Büro aus mit Deutschländer, seinem Stellvertreter in der Soko. Er schilderte ihm, was sie erfahren hatten und wie er vorgegangen war. Inzwischen war auch das Auto-Kennzeichen der schönen Wirtin ermittelt – tatsächlich eine Buchstabenkombination mit ›ES‹, genauso, wie es jener Zeuge abgelesen hatte, dem das Fahrzeug aus Richtung Ödewald aufgefallen war.
„Wir nehmen die Schneider fest”, entschied Häberle und fügte hinzu: „Bevor sie uns durch die Lappen geht.” Außerdem, so berichtete er seinem Kollegen in Kirchheim, werde er nach Rottler fahnden lassen und ebenfalls einen Haftbefehl gegen ihn beantragen.
Häberle machte einen zufriedenen Gesichtsausdruck und legte auf.
„Geh’n wir los?”, fragte Linkohr voller Tatendrang und schaute auf die Uhr. „Die schöne Wirtin wird in ihrer Kneipe drüben sein.”
Sein Chef pflichtete ihm bei. „Da werden wir sie vielleicht am einfachsten überreden können, freiwillig zu einem Verhör zu kommen. Denn die scheut sicher das Aufsehen.” Als sie gerade aufstehen wollten, ertönten die schrillen Laute des Telefons auf Häberles Schreibtisch. Er nahm ab und lauschte. Schon nach wenigen Sekunden verengte er die Augenbrauen. Dann sagte er energisch: „Versuchen Sie, Kontakt herzustellen – wie immer das auch gehen mag. Verständigen Sie den Hauff. Ich mach’ den Rest.” Er legte auf.
Linkohr hatte gespannt auf eine Erklärung gewartet. Diese fiel aber knapp aus: „Auf der Hahnweide hat wieder einer ein Flugzeug geklaut. Am helllichten Tag.”
Linkohr ließ ein Schriftstück sinken. „Da haut’s dir’s Blech weg.”
Häberle zögerte keinen Augenblick. Er beauftragte Linkohr, sofort Kontakt mit der Hahnweide aufzunehmen, und wählte die Nummer des Lagezentrums im Stuttgarter Innenministerium. Dort kannte er sich noch von seiner Zeit als Sonderermittler im Landeskriminalamt bestens aus. Er ließ sich mit dem ranghöchsten Beamten verbinden, der auch sogleich mit dem Namen Häberle etwas anzufangen wusste. Ohne über frühere Zeiten zu reden, kam der Soko-Chef sofort zur Sache und erklärte im Telegramm-Stil, was geschehen war. Sein Gesprächspartner entschied, unverzüglich die Fluglotsen am Stuttgarter Flughafen zu verständigen und die Luftraumüberwachung der Bundeswehr einzuschalten. Diese bereitete in diesen Wochen gerade ihre neuen Maßnahmen gegen feindliche Eindringlinge vor – als Schutz gegen Terror-Attacken aus der Luft. Zum 1. Juli, das hatte Häberles Gesprächspartner gerade erst in der Zeitung gelesen, würde in Kalkar am Niederrhein eine ›Führungszentrale Nationale Luftverteidigung‹ eingerichtet, berichtete er. Je zwei Phantom-Maschinen sollten im friesischen Wittmund und in Neuburg an der Donau rund um die Uhr einsatzbereit sein und innerhalb kürzester Zeit jeden Punkt in dieser Republik erreichen können. Möglich, dass schon jetzt, zweieinhalb Wochen zuvor, diese Truppe bereit stand, meinte der Mann aus dem Lagezentrum des Innenministeriums.
Vorläufig aber, das gab ihm Häberle zu bedenken, lagen keinerlei Hinweise darauf vor, wo sie suchen sollten. An einem sommerlichen Nachmittag, wie dem heutigen, waren im Umkreis von 200 Kilometern vermutlich Dutzende, wenn nicht gar Hunderte Sportflieger unterwegs.
„Wenn der Idiot nur nicht in die Stuttgarter Kontrollzone reinfliegt”, sorgte sich Häberle, als er den Telefonhörer aufgelegt hatte. Dann sah er durch die offene Tür, dass Linkohr vom Nebenzimmer aus ebenfalls telefonierte. Der Soko-Chef grübelte einen kurzen Moment und fühlte sich plötzlich so machtlos. Er, der Praktiker, den eigentlich nichts am
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