Irrflug
mischte es sich mit einem Pfeifen und Rauschen und war genauso rasch wieder verhallt, wie es gekommen war. Eine kurze Schrecksekunde, dann stellte ein junger Beamter, der zum Fenster geeilt war, lässig fest: „Die Anti-Terror-Experten! Abfangjäger. Freuen sich wahrscheinlich auf ihren ersten richtigen Einsatz, seit sie neu organisiert sind.”
Das Donnern kam bereits ein zweites Mal näher. So laut, dass jetzt sogar der Fußboden zu beben schien. „Kaum höher, als das Münster”, rief der Kriminalist, der vom Fenster aus die Militärmaschine gesehen hatte.
„Scheiße”, urteilte ein älterer Kriminalist, „jetzt machen’se die Bevölkerung verrückt – und den Knaben da oben nervös. Mir gefällt das überhaupt nicht, gar nicht.”
„Wenn’s dumm kommt”, meinte ein anderer, „dann können wir die halbe City noch evakuieren. Dann gut’ Nacht!”
Im Funkgerät krächzte wieder eine Stimme. Sie gab einer Streife die Anweisung, zum Hubschrauber-Landeplatz bei der Donauhalle zu fahren, um dort den Leiter der ›Sonderkommission Hahnweide‹ abzuholen.
„Da haben wir ja ausgesprochenes Glück, dass der Häberle kommt”, meinte der Chef der Kriminalpolizei erleichtert, um dann festzustellen: „Der Kollege wird’s richten.” In diesem Augenblick erfüllte erneut ein Brausen und Beben die Luft.
Inzwischen blieben auf der Fußgängerzone Hirschstraße und auf dem Münsterplatz Passanten stehen und beobachteten den Tiefflieger, der zum wiederholten Male ungewöhnlich tief die City überquerte. Den einsamen Sportflieger, der seine Kreise um die Stadt zog, zwischen Kuhberg und Neu-Ulm, zwischen Thalfingen und dem Industriegebiet Donautal, nahm niemand zur Kenntnis. Er war soweit weg, dass er, vom Zentrum aus gesehen, meist hinter den hohen Häusern verschwand und deshalb kaum wahrgenommen werden konnte.
Der moderne Eurocopter vom Typ EC 155 der Baden-Württembergischen Hubschrauber-Staffel hatte soeben die Autobahn A 8 bei Dornstadt an der Anschlussstelle Ulm überquert und nahm weiter Kurs auf Ulm. Mit ihren 330 km/h, die diese Maschine schaffte, waren die 55 Kilometer von Göppingen her rasch überwunden. Häberle, der auf einem der hinteren Sitze Platz genommen hatte, sah durch die verglaste Kanzel bereits den Turm des Ulmer Münsters. Dass es der höchste Kirchturm der Welt sein sollte, war aus dieser Perspektive kaum zu glauben, dachte er sich. Ulm lag jenseits der Schwäbischen Alb und somit deutlich tiefer, als sein nördliches Umland. Deshalb war der filigran wirkende Münsterturm aus dieser Richtung erst relativ spät zu sehen. Er hob sich nicht, wie man vermuten könnte, vom Horizont ab, sondern ragte aus der Donau-Niederung herauf. Während Häberle die Landschaft auf sich wirken ließ, das lange Asphaltband der B 10, die sich abwärts schlängelte, um dann in einem kurzen Tunnel zu verschwinden, drehte sich der Co-Pilot zu ihm um und deutete nach rechts. Ein derartiges Bild kannte Häberle von seinem Flug nach Konstanz. In respektablem Abstand kam ein Militärjet, offenbar eine Phantom, auf sie zu, umflog sie in weitem Bogen und drehte dann wieder in Richtung Donau ab. Häberle war von dem Anblick diesmal nicht erschrocken, sondern zufrieden.
Dann entdeckte er rechts die gesuchte Sportmaschine. Sie kam aus westlicher Richtung und schien ebenfalls einen Bogen zu beschreiben – eindeutig in weitem Abstand um die Stadt herum. Der Hubschrauber-Pilot sprach etwas in sein am Helm befestigtes Mikrofon. Häberle bedauerte, dass er es nicht verstand. Sogleich änderte sich das Motorengeräusch und der Helikopter verlor langsam an Höhe, legte sich in eine Linkskurve und nahm Kurs auf die Grünanlagen an der Donau, dort, wo sich die Donauhalle und das Stadion befanden. In der so genannten Friedrichsau gab es genügend Platz für eine Landung. Jetzt sah Häberle rechts vor sich das Ulmer Münster in seiner ganzen Pracht inmitten der großen Stadt stehen, deren natürliche Grenze zu Neu-Ulm die breite Donau war, die im Licht der Sonne glitzerte. Sie näherten sich dem Fluss, vor dem der Pilot eine weitere Linkskurve flog, um den rasch sinkenden Helikopter nun zu einer Wiese zu bringen, wo bereits zwei Streifenwagen der Polizei zu erkennen waren. Die Beamten mussten den Landeplatz absperren.
Der Pilot in der Cessna hatte rechts vor sich den Polizeihubschrauber auf Ulm zufliegen, ihn links abdrehen und dann landen sehen. Ganz rechts, über der Stadt hinweg, hinterließ die Phantom ihre
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