Irrflug
schwarze Abgaswolke. Sie schien erneut mit einer Steilkurve von hinten rechts auf den Sportflieger zuzuhalten.
„Delta Mike-Mike”, krächzte es aus dem Lautsprecher, „ich wiederhole: Dringende Aufforderung sofort auf dem Flugplatz Erbach landen. Haben Sie verstanden?” Es war der Militär-Pilot, dessen sonore Stimme immer und immer wieder dasselbe befahl.
Der Sportflieger griff zum Mikrofon, während er seine Maschine am sanften Nordabhang der Schwäbischen Alb entlang steuerte. Die Cessna wurde von starken Aufwinden geschüttelt. „Sie können sich Ihr Imponiergehabe sparen”, gab er zurück, „Das einzige, was Sie damit erreichen, ist, dass Sie ganz Ulm in Angst und Schrecken versetzen. Hab’ ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt? Ich will Kommissar Häberle sprechen. Und der scheint ja auf dem Anflug zu sein, wahrscheinlich mit dem Hubschrauber da drüben. Hab’ ich R#echt?”
„Delta Mike-Mike”, der Militärpilot hielt sich trotz aller Anspannung an die Funkregeln, „das Gespräch kann in Erbach stattfinden.” Erbach war ein Sportflugplatz, nur ein paar Kilometer westlich von Ulm gelegen.
„Ich muss mit Häberle verhandeln, ist das klar? Und zwar hier in der Luft. Das hat seinen Grund”, erklärte der Sportflieger ruhig. Seine Begleiterin verfolgte die Funkgespräche, war aber inzwischen aschfahl im Gesicht geworden. Dieser heftige Luftverkehr, dazu noch über einer Großstadt, gefiel ihr überhaupt nicht mehr. Das erinnerte sie fatal an den 11. September. Inzwischen sah sie den Militär-Jet bereits wieder von rechts hinten herankommen. Sie sah ihren Freund fragend an. Entsetzen stand in ihren Augen.
„Delta Mike-Mike”, meldete sich der Phantom-Pilot erneut, „ich wiederhole: Landen Sie in Erbach und bestätigen Sie!”
In diesem Augenblick zog der Jet auf gleicher Höhe und mit Minimal-Abstand an der Cessna vorbei. Die Frau auf dem Co-Pilotensitz konnte den Bundeswehr-Piloten in seinem teilweise verglasten Cockpit sogar sehen. Augenblicke später wurde die Cessna von den Luftwirbeln des Jets gepackt und wie von einer unsichtbaren Kraft hin- und hergerissen. Der Pilot nahm das Gas zurück und hielt den Steuerknüppel fester. Seine Begleiterin stieß einen Schrei aus. Unterdessen konnten sie an der rechts vorbeiführenden Abgasspur den Kurs der Phantom verfolgen. Sie begann, sich schon wieder in eine Rechtskurve zu legen.
Der Cessna-Pilot reduzierte die Geschwindigkeit, setzte die Landeklappen auf zehn Grad und ging in den Sinkflug, während er die Maschine in eine scharfe Rechtskurve legte. Es schien so, als würde er auf die Spitze des Ulmer Münsters zuhalten.
„Der Kerl muss verrückt geworden sein”, brüllte ein Streifenpolizist in sein Mikrofon. Der Beamte war zusammen mit einem Kollegen zur Wilhelmsburg beordert worden, um den Luftraum zu beobachten. Im Lehrsaal der Ulmer Polizeidirektion, wo die Führungskräfte auf das Eintreffen von Häberle warteten, ließ dieser Funkspruch aufhorchen. Die Gespräche verstummten. „Der Kerl”, schrie die Stimme aus dem Lautsprecher, „der Kerl fliegt auf den Münsterturm zu.” Sofort ließ wieder ein raumfüllendes Dröhnen die Luft erzittern.
Häberle war unterdessen aus dem Hubschrauber geklettert und in einen bereitstehenden Streifenwagen gestiegen, das Flugfunkgerät von der Hahnweide in der linken Hand. Während sie mit Martinshorn und Blaulicht Richtung Innenstadt rasten, schaltete Häberle das Gerät, das bereits auf die genannte Frequenz eingerichtet war, auf ›on‹. Er zog die Teleskop-Antenne so gut es ging heraus, um sie ein Stück weit aus der offenen Seitenscheibe halten zu können. Der Empfang war schlecht und mit starkem Rauschen verbunden.
„Delta Mike-Mike”, hörte er eine Männerstimme sagen, obwohl er wegen des Martinshorns Mühe hatte, etwas zu verstehen. „Nochmals die Aufforderung: Landen Sie in Erbach”, krächzte die Stimme. Dann sah Häberle die Gelegenheit für gekommen. Er nahm das Mikrofon von der Halterung und drückte die Sprechtaste. „Hier spricht Häberle, ich rufe die Cessna”, sagte er ganz unkonventionell, ohne sich an Sprechfunk-Verfahren zu halten. Der Streifenwagen raste an eine Kreuzung heran, deren Ampel auf ›Rot‹ stand. Der Beamte am Steuer reduzierte das Tempo, schlängelte sich an der Kolonne der Fahrzeuge vorbei und beobachtete, ob alle im Querverkehr das Einsatzfahrzeug bemerkt hatten. Dann trat er wieder aufs Gaspedal, um am ›Pressehaus‹ nach links abzubiegen.
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