Irrflug
verrückt, dass er gegen das Münster fliegt?”, fragte er schließlich zweifelnd in reinstem Hochdeutsch.
Häberle erwiderte sachlich: „Wenn einer bereits einen Menschen auf dem Gewissen hat, ist mit allem zu rechnen. Denken Sie an Ihre Frau, die bei ihm drinsitzt!”
Steinke willigte schließlich ein. Noch während sie telefonierten, war die Polizeistreife vor seiner Wohnung im Göppinger Norden eingetroffen. Er versprach, mit den Beamten zur Bereitschaftspolizei zu fahren und den Kontakt mit Rottler aufzunehmen. Häberle war erleichtert. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Die Fahrt mit Martinshorn und Blaulicht dauerte von Steinkes Wohnung bis zur Bereitschaftspolizei nur knappe fünf Minuten. Der wachhabende Beamte an der Pforte öffnete die Schranke und ließ den Streifenwagen, der angekündigt war, aufs Gelände rasen. Die Reifen quietschten. Augenblicke später war innerhalb des parkähnlichen Areals über eine kurvige Auffahrt die Spitze des „Rigis” und damit die asphaltierte Hubschrauber-Landefläche erreicht. Dort stand der Eurocopter mit laufendem Rotor. Steinke stieg aus dem Polizeiwagen und ließ sich, begleitet von einem Uniformierten, im Laufschritt zu dem Hubschrauber bringen. Das Knattern des Rotors war ohrenbetäubend, um sie herum schien ein Sturm zu toben. Staub und Sand wurde aufgewirbelt. Steinke, der eine Jeans und ein kurzärmliges Hemd trug, kniff die Augen zusammen. Sportlich, wie er war, kletterte er auf den rückwärtigen Sitz des Helikopters und gurtete sich an. Augenblicke später hatte der Co-Pilot die Seitentür verriegelt und gab seinem Kollegen nebenan das Handzeichen zum Start. Die Turbinen heulten auf, die Drehzahl des Rotors nahm deutlich zu, die Maschine hob ab, stieg senkrecht hoch und nahm sofort Kurs in Richtung Schwäbische Alb. Steinke sah aus dem Seitenfenster, wie die Bäume am Rande des Landesplatzes von den Luftverwirbelungen erfasst wurden.
Steinke, das hatte Häberle angeordnet, sollte vorsichtshalber nach Ulm geflogen werden, um ihn gleich in Obhut zu haben. Allerdings musste Steinke bereits unterwegs, sofern es funktechnisch möglich war, mit Rottler Kontakt aufnehmen. Die Zeit drängte. Niemand konnte voraussagen, wie lange der Verrückte noch bereit war, über Ulm zu kreisen.
Während der Hubschrauber in geringer Höhe auf die Albkante zuflog, hinüber zum markanten Einschnitt zwischen Wasserberg und Fuchseck, über die ausgedehnten Streuobstwiesen von Schlat hinweg, reichte der Co-Pilot das Mikrofon mit dem geringelten Kabel nach hinten. Er deutete Steinke an, wie der Sprechknopf zu betätigen sei .
Steinke nahm es zögernd und verunsichert in die Hand und drückte auf den Knopf. „Hallo, Olaf, hör’sch du mich?” Der Co-Pilot schaltete das Gerät auf Bordlautsprecher. Es rauschte und krachte und übertönte den Motorenlärm. Dann aber krächzte unverkennbar Rottlers Stimme: „Willkommen im Himmel”, Rottler lachte, wurde aber sofort wieder ernst: „Das ging aber verdammt schnell. Alle Achtung!”
Steinke sah links das beliebte Wanderheim des Schwäbischen Albvereins, das Wasserberghaus, an der bewaldeten Hangkante stehen. Doch dies registrierte er nur beiläufig. Er drückte wieder energisch den Mikrofonknopf: „Du bisch ein verdammter, niederträchtiger Hund”, zischte er, „was isch mit meiner Frau? Los, sag’ was!” Steinke hatte Mühe, sich zu beherrschen. Weil er krampfhaft den Mikrofonknopf gedrückt hielt, damit also die Frequenz blockierte, drehte sich der Co-Pilot zu ihm und deutete an, den Funk wieder freizugeben.
Dann meldete sich auch schon Rottler: „Der Melanie geht’s bestens, mein lieber Frederik.” Kurze Pause, dann ein hämischer Zusatz: „Und du willst doch sicher auch, dass es so bleibt, oder?”
Steinke schluckte. Sie flogen knapp an der bewaldeten Hangkante entlang. Links vorne tauchte ein Taleinschnitt auf, darin ein Dörfchen mit einem Kirchturm, der ein Zwiebeldach hatte. Unterböhringen, dachte Steinke und erkannte schon von Weitem auf der nächsten Hochfläche den gepflegten Rasen des Golfplatzes. Von dem satten Grün hoben sich die hellen Sandgruben ab.
Steinke versuchte, sich zu entspannen. Er atmete tief durch. Doch er merkte, wie seine Gedanken verrückt spielten, dass er überhaupt nicht mehr klar denken konnte. Warum, zum Teufel, sollte er jetzt, ausgerechnet jetzt, für seine Frau kämpfen, wo sie ihn doch seit Langem hat verlassen wollen! Doch was blieb ihm anderes übrig? Sie war
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