Irrflug
Und drüben”, Rottler lachte wieder, „drüben bei denen empfängt man Sie mit offenen Armen, wenn Sie mit einem Köfferchen voller Euro daherkommen. Sollten Sie auch mal probieren.”
Der Pilot folgte jetzt dem Flusslauf der Iller. Melanie schluchzte noch immer. Blut rann ihr aus der Nase und tropfte auf die Bluse.
Rottler fuhr mit seinen Schilderungen fort, seufzend, enttäuscht: „Dann ist aber alles daneben gegangen. Der Unfall, der schreckliche Unfall.” Er machte eine Pause und sah zu dem Fluss hinab, auf dem Schlauchboote der Donau zutrieben. „Der Unfall”, wiederholte er mit einer Stimme, die irgendwie traurig klang, „es war schrecklich, das dürfen Sie mir glauben. Alles hatte so gut geklappt – auch wenn es verdammt schwer war, diese Stahltür an der Flughalle aufzubrechen. Aber um diese Zeit sagen sich auf der Hahnweide Fuchs und Has’ gut’ Nacht”, er holte tief Luft. „Ich wusste ja, dass die ›Echo Bravo‹ vorne stehen würde. Bin am Vorabend – aber das haben Sie ja ziemlich schnell rausgekriegt, Respekt, Herr Kommissar – bin ja am Vorabend noch geflogen, nur kurz, um nach dem Auftanken nicht mehr viel Sprit zu verbrauchen – ja, und dann wurde die Maschine als letzte eingeräumt. Stand also ganz vorne. War alles geplant.” Seine Stimme verriet, dass er stolz auf dieses Vorgehen war. „Genial, finden Sie nicht auch?”
Rottler sah auf der linken Seite das Gewerbegebiet von Senden und das große Möbelhaus auftauchen. Er legte die Maschine in eine Linkskurve. Melanie Steinke schluchzte noch immer. Sie hatte jeden Widerstand aufgegeben.
Häberle wartete geduldig, bis Rottler weitermachte: „Wir haben die Maschine herausgezogen, sie sprang auch sofort an – und dann ist Heidrun …”, er stockte und schluckte,
„… in den laufenden Propeller gekommen. Einfach so”, er brach ab, „es war furchtbar.”
Melanie schluchzte laut auf. Tränen und Blut vermischten sich um ihre Mundwinkel.
Rottler umrundete Senden, um an der Autobahn entlang wieder auf Ulm zuzusteuern. Die beiden Nadeln der Sprit-Anzeige näherten sich vibrierend dem Mittelstrich.
„Sie blutete”, schilderte Rottler weiter, was vorgestern am frühen Morgen geschehen war, „sie blutete furchtbar. Sie war auf der Stelle tot. Ich war in Panik, versteh’n Sie? Kein Auto da, nichts. Der Motor lief, machte einen Höllenlärm. Können Sie das verstehen: Ich wollte nur eines – nämlich weg. Ich rollte auf die Piste, obwohl’s noch ziemlich dunkel war. Aber der Himmel wurde schon deutlich hell.” Rottler fiel es zunehmend schwerer, darüber zu berichten. „Und dann bin ich einfach davongeflogen, einfach geflüchtet, in Panik, Herr Kommissar, nichts weiter.” Zum ersten Mal machten sich bei ihm Emotionen bemerkbar. Er wartete einige Sekunden mit gedrückter Sprechtaste, so dass Häberle nichts entgegnen konnte. Dann sprach er weiter: „Ich wollte alles ungeschehen machen. Kennen Sie dieses Gefühl? Alles ungeschehen machen – obwohl man’s nicht mehr kann. Einfach zurück, mitsamt dem vielen Geld. Einfach so tun, als sei nichts gewesen. Als sei’s nur ein böser Albtraum gewesen.”
Melanie Steinke hatte mit dem lauten Schluchzen aufgehört. Irgendwie tat sie ihm plötzlich leid, wie sie an die Tür gelehnt in der Gurte hing. Ein Häufchen Elend. Er hatte sie wirklich mal geliebt.
„Ich bin einfach zum Berneck geflogen, wie in Trance”, sagte er dann, „hab’ mich durch die Büsche geschlagen und bin mit dem nächstbesten Bus nach Geislingen und dann mit dem Zug nach Göppingen gefahren.” Er hielt wieder inne und schloss für einen Moment die Augen. „Ich wollte doch alles rückgängig machen”, wiederholte er. „Deshalb bin ich, wie’s ja geplant war, als sei nichts gewesen, um elf zur Hahnweide gefahren, von wo aus ich für Steinke mit dem vielen Geld nach Samedan hätte fliegen sollen. Obwohl mir hundeelend war, hab’ ich so getan, als sei nichts gewesen, ja.” Er hielt die Sprechtaste weiter gedrückt. „Dem alten Giftzwerg hab’ ich dann gesagt, Fliegen sei nicht möglich gewesen – was ja gestimmt hat –, und dann hab’ ich die Tasche mit dem vielen Geld weggeschlossen, in meinem Büro, ganz normal.” Rottler spürte Magenkrämpfe. Er wartete eine halbe Minute, bis er mit seinen Schilderungen fortfuhr, jetzt wieder sachlich und nüchtern: „Als dann gestern die verdammten Steuerbullen aufgetaucht sind, mit denen wir schon seit Tagen gerechnet haben, der Giftzwerg noch mehr, als
Weitere Kostenlose Bücher