Irrflug
ruckartig zur Seite. Melanie packte Rottlers Oberarm jetzt mit beiden Händen, fühlte sich dann aber plötzlich schwach, unheimlich schwach, als vor ihr, auf gleicher Höhe, die verzierte Spitze des Münsters auftauchte – so nah, wie nie zuvor. „Olaf”, schrie Melanie hysterisch, „Olaf!” Ihr Haar war zersaust und schweißnass.
Wieder ließ er die Maschine im letzten Augenblick links wegkippen. Melanie Steinke spürte das flaue Gefühl im Magen, als seien sie in den freien Fall übergegangen. Obwohl sie sich erneut fest an Rottler klammerte, konnte dieser mit der rechten Hand den Gashebel bedienen. Er fing die Maschine wieder ab, gab Vollgas und nahm Kurs auf Neu-Ulm.
„Rottler, Sie wollten mir was sagen”, erschallte plötzlich Häberles Stimme durch den Lautsprecher über ihren Köpfen.
Der Pilot griff zum Mikrofon, das er zwischen den Beinen liegen hatte. „Okay, dies ist das Wort zum Samstag”, er lächelte, hielt dann aber inne, als er am Horizont die Abgaswolke der Phantom erblickte. „Wenn Sie mir nicht augenblicklich diesen Militär-Idioten vom Leib halten”, zischte er, „dann findet das große Finale sofort statt.”
„Keine Sorge, Rottler”, beruhigte Häberle, „der kommt uns ohne meine Anweisung nicht in die Quere.”
Rottler versuchte, sich aus dem Klammergriff seiner Geliebten zu lösen. Melanie Steinke sah den Mann neben sich mit starren, entsetzten Augen an. Er war ihr plötzlich wie ein Fremder, eine Bestie. Keine Spur mehr von dem charmanten Manager. Dass er sich gewandelt hatte, das war ihr allerdings bereits in den letzten Monaten bewusst geworden, dachte sie jetzt. Einen solchen Gedanken hatte sie aber stets verdrängt – auch wenn sich ihr zunehmend der Verdacht aufgedrängt hatte, Olaf könnte es um etwas ganz anderes gegangen sein. Um Geld. Jetzt wurde es ihr mit einem Mal bewusst: Er wollte nichts weiter, als Frederik ausschalten, um über das gespielte Liebesverhältnis zu ihr an das Vermögen zu gelangen. Oder war es vielleicht doch nicht so? Trotz des Hasses, den sie spürte, wollte sie es nicht mit letzter Konsequenz wahrhaben. Doch der Mann auf dem Piloten-Sitz war nicht mehr ihr Olaf, den sie einmal so sehr geliebt hatte.
Häberle hakte nach, als die Cessna dem Lauf der Donau ostwärts folgte: „Also, was ist? Sie wollten mir was sagen.”
Rottler sah links von sich die Anhöhe des Ulmer Vororts Böfingen vorbeiziehen. Er überlegte und drückte den Mikrofonknopf: „Es war wirklich kein Mord – die Sache auf der Hahnweide. Es war ein Unfall.” Er sprach langsam und leise. „Ja, Herr Kommissar, es war ein schrecklicher Unfall, nichts weiter. Wir hatten den Flieger aus der Halle geholt, wir hatten’s eilig. Es musste ja schnell gehen.”
Melanie Steinke drehte sich erschrocken zu ihm her: „Du Schwein, du elendiges Schwein”, rief sie und schlug mit den Fäusten auf seinen rechten Oberarm ein. Er musste das Mikrofon loslassen und die Frau energisch von sich wegstoßen. „Lass’ das verdammt noch mal”, zischte er und griff mit beiden Händen an den Steuerknüppel, zog und drückte nacheinander das Höhenruder und betätigte gleichzeitig die Querruder, so dass die Maschine nach allen Seiten schaukelte und wippte. Melanie Steinke verstummte. Sie sah mal Himmel, mal die Erde – Häuser, Donau, Wolken. Ihr wurde noch viel übler.
Rottler lächelte zufrieden und führte das Mikrofon zum Mund: „Ja, Heidrun Pulvermüller und ich wollten abhauen. Hatten das spießige Leben satt, das ewige Versteckspiel mit dem alten Giftzwerg”, er blickte mit zornigem Gesicht zu seiner Nebensitzerin, die zu schluchzen begann und mit dem Erbrechen kämpfte. Rottler machte weiter: „Ja, ich geb’s zu, Herr Kommissar, die Zeit war günstig, die Fliege zu machen.”
Melanie Steinke schüttelte sich in Weinkrämpfen. „Du Sau”, entfuhr es ihr. Sie versuchte, ihm mit allerletzter Kraft einen Schlag ins Gesicht zu versetzen. Er wehrte reflexartig ihre Hand ab. Dabei fiel das Mikrofon in den Fußraum. Ehe sie sich zur Seite ducken konnte, klatschte sein rechter Handrücken mit voller Wucht gegen ihre rechte Backe. Melanie Steinke schrie, schluchzte, heulte und verbarg den Kopf mit den Armen. Sie blutete.
Rottler zog die Maschine nach links. Er wollte Böfingen umfliegen, um in weitem Bogen wieder die Stadt anzusteuern.
Dann griff er nach dem Mikrofon: „Ein bisschen Knete hatten wir auch dabei”, er lachte wieder und wiederholte: „Ein bisschen halt, ja. Hätt’
Weitere Kostenlose Bücher