Irrflug
Fenster auf die Bäume hinausschweifen. „Ja”, sagte er, um gleich hinzuzufügen: „Leider.”
„Ihren Finanzchef, den Herrn Rottler?”
Steinke erwiderte nichts. Altmann schwieg ebenfalls.
„Großer Gott”, entfuhr es Horst Hauff, dem Chef der Motorflugschule auf der Hahnweide. Er wurde blass und ging zum Fenster, durch das er auf das verwaiste Fluggelände hinausblicken konnte. Dass an einem solch herrlichen Sommertag, wie dem heutigen, kein Motorengeräusch zu hören war, das dürfte es seit Langem nicht mehr gegeben haben. „Dann also brutal erschlagen”, wiederholte Hauff fassungslos, als habe er noch gehofft, es handle sich um einen Unfall.
„Ja, offenbar ein äußerst kaltblütiger Mord”, stellte Kommissar Deutschländer fest, als er sein Handy wieder in die Hosentasche steckte.
Hauff drehte sich um. „Aber warum gerade hier? Warum vor der Halle?” Er setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch, ohne eine Antwort zu erwarten.
„Man kann das hin und her überlegen”, entgegnete Deutschländer, „irgendwie gibt dies alles keinen Sinn.” Er ließ einige Sekunden des Bedauerns und Nachdenkens verstreichen, ehe er auf das Blatt deutete, das Hauff von seiner Sekretärin mitgebracht hatte: „Sie haben die Namen der gestrigen Piloten hier?”
Der Mann schien noch in Gedanken versunken zu sein. „Ja, ja, hier …”, er schob das DIN-A-4-Blatt über die Schreibtischplatte. „Die in der linken Spalte sind Charterkunden, die rechts sind Schüler.”
Deutschländer überflog sie, doch kein einziger dieser Namen, die mit Adressen und Telefonnummern versehen waren, kam ihm bekannt vor. Nach einer kurzen Pause sagte er: „Noch eine Frage. Flugschüler, die bei Ihnen die Ausbildung gemacht haben, bleiben nicht zwangsläufig anschließend Ihre Kunden, sehe ich das richtig?”
Hauff nickte. „Ja, so ist es. Viele suchen sich in örtlichen Vereinen eine fliegerische Heimat – oder sie ziehen weg und wir hören nie mehr wieder etwas von ihnen. Wir hatten sogar Flugschüler, die sich weitergebildet haben und die heute bei großen Airlines als verantwortliche Piloten fliegen.” Aus seiner Stimme war ein gewisser Stolz herauszuhören.
6
„Gestohlen, sagen Sie? Ein Flugzeug gestohlen? Und wo ist die Maschine jetzt?” Svea Heinemann blickte auf die Graspiste des Konstanzer Flugplatzes hinab.
Der Flugleiter, dessen blauer Overall um den Bauch herum spannte, zuckte mit den Schultern. „Bis jetzt hat’s noch keine neue Mitteilung gegeben. Wahrscheinlich noch nicht wieder aufgetaucht.”
Die junge Frau holte ihren Geldbeutel aus der kleinen Handtasche und bezahlte die Landegebühr.
„Wohin geht’s jetzt?”, fragte der Flugleiter pflichtgemäß.
Svea Heinemann überlegte kurz. „Wieder zurück nach Rothenburg ob der Tauber, aber vielleicht mit ein paar kleinen Sightseeing-Abstechern”, sagte sie dann. Die Andeutung eines Lächelns huschte über ihr blasses Gesicht.
„Dann wünsch’ ich guten Flug”, sagte der Mann im Overall, als sich die Pilotin verabschiedete und zur Wendeltreppe ging. Der Flugleiter blickte ihr nach und überlegte, ob es der Polizei hilfreich wäre, sie von diesem Gespräch zu unterrichten. Doch er verwarf den Gedanken. Sicher reiner Zufall, dass diese Frau gerade heute wieder hier ihre Freundin treffen wollte. Auch dass diese oft mit dieser ›Echo Bravo‹ von der Hahnweide kam, musste ein Zufall sein. Soweit er wusste, konnte dort niemand eine bestimmte Maschine bestellen.
Der Flugleiter erhob sich, um von seinem Fenster aus zu der jungen Frau hinabblicken zu können, die mit ihren langen Beinen flott und kess zu ihrer geparkten Cessna hinüberging. Im Schatten, den eine Halle warf, blieb sie plötzlich stehen, um etwas aus ihrer Handtasche zu kramen. Es war offenbar ein Handy. Sie drückte einige Tasten und hielt es sich wartend ans Ohr. Wenig später schien sich jemand gemeldet zu haben, denn sie begann wild gestikulierend zu reden. Das Gespräch dauerte immerhin sechs Minuten, stellte der Mann beim Blick auf die Uhr fest. Dann hörte er, wie der Motor angelassen wurde. Augenblicke später meldete sich die Frau über Funk bei ›Konstanz Info‹ und erbat, ganz nach Vorschrift, Rollinformation. Der Flugleiter nannte die Startrichtung – westwärts. Von dort blies ein leichter Sommerwind aus der sonnenverwöhnten oberrheinischen Tiefebene herüber. Als er der Pilotin die Anweisung gab, sah er im Augenwinkel, dass sich aus dem Faxgerät ein Blatt Papier
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