Irrflug
schob, das den Briefkopf der Flugsicherung trug.
Noch während Svea Heinemann mit ihrer Cessna zum Startpunkt holperte, ganz hinaus zum östlichen Begrenzungszaun, wo das Gewerbegebiet begann, streckte sich der Flugleiter zum Faxgerät, um das Blatt Papier zu greifen. Er überflog es hastig und sah sofort den entscheidenden Satz: „Die Suchmeldung nach der in Kirchheim (Hahnweide) gestohlenen Cessna wird hiermit zurückgenommen. Das Flugzeug wurde auf dem Flugplatz Bad Ditzenbach-Berneck sichergestellt.” Die Flugsicherung hatte sich auf ein paar dürre amtliche Verlautbarungen beschränkt, ohne mitzuteilen, ob der Pilot festgenommen oder ermittelt werden konnte. Der Mann vom Tower beschloss, die 15-Uhr-Nachrichten des Südwestrundfunks einzuschalten, um auf diese Weise ein bisschen mehr von diesem Fall zu erfahren. Dann brachte ihn eine Gewitter-Warnung des Deutschen Wetterdienstes auf andere Gedanken.
„Da haut’s dir’s Blech weg”, sagte die Stimme im Telefon. Ein Ausdruck höchster Verwunderung. Wenn sich Mike Linkohr auf diese Weise äußerte, dann hatte er soeben etwas Rätselhaftes oder Erstaunliches erfahren. Er war der jüngste Kriminalist in der Göppinger Kriminal-Außenstelle Geislingen/Steige und soeben mit dem Anruf eines Spaziergängers konfrontiert worden. Dieser hatte trotz der Hitze eine Wanderung auf der Hochfläche der Schwäbischen Alb gemacht, wo jetzt die Sonne gnadenlos von einem diesig-bläulichen Himmel knallte. Der Mann, offenbar ein Rentner, hatte das Geislinger Polizeirevier über Handy davon unterrichtet, dass jenes Sportflugzeug, das den ganzen Tag über bereits in den Rundfunk-Nachrichten erwähnt worden war, unweit der Rollbahn des Flugplatzes Berneck stehen würde, ganz dicht am angrenzenden Wald, auf einer abgemähten Wiese.
Das Gespräch war zu Linkohr verbunden worden, der sich den Ort genau schildern ließ und dann, weil dieser Fall landesweite Bedeutung zu haben schien, diesen Zeugenhinweis an die Polizeidirektion in die Kreisstadt Göppingen meldete. Linkohr war einigermaßen erleichtert, dass sich dort nicht Kripo-Chef Bruhn meldete, dessen energischer Befehlston seit Jahr und Tag in Kollegenkreisen gefürchtet war. Stattdessen bekam er den überaus sympathischen Hauptkommissar August Häberle an die Strippe. Voriges Jahr, daran erinnerte sich Linkohr noch jetzt mit großer Freude, hatten sie an ähnlich heißen Sommertagen, wie den derzeitigen, in Geislingen einen großen Fall geklärt. Damals war ein Diskotheken-Besitzer von einem Felsen gestoßen worden.
Häberle, ein Gemütsmensch, der mit eiserner Disziplin seine Leibesfülle nicht mehr weiter hatte anwachsen lassen und sich mit Begeisterung nach wie vor als Judo-Trainer betätigte, hörte gespannt zu, was sein junger Kollege aus Geislingen zu berichten wusste. Der altgediente Kriminalist, der wieder in die Provinz zurückgekehrt war, nachdem er jahrelang beim Landeskriminalamt die kniffligsten Fälle aufgeklärt hatte, wischte sich mit dem linken Handrücken den Schweiß von der Stirn. In seinem kleinen Büro war es unerträglich heiß, obwohl alle Fenster weit geöffnet waren. Über Göppingen, so schien es, lag seit Tagen eine Hitzeglocke. Daran hatten auch die kurzen Gewitter vom vergangenen Wochenende nichts geändert. Das bevorstehende Wochenende schien wieder tropisch heiß zu werden. Häberle hatte sich in Gedanken bereits auf die freien Tage eingestellt, doch Linkohrs Anruf an diesem Donnerstagnachmittag verhieß nichts Gutes.
Der Fall, um den es ging, ließ eine gewisse Brisanz erkennen, das hatte er schon den ganzen Vormittag über in Gesprächen mit Bruhn und dem Landeskriminalamt bemerkt. Man vermutete politische Hintergründe, vielleicht sogar terroristische. Und nun stand dieses Flugzeug ausgerechnet im Kreis Göppingen, in seinem Zuständigkeitsgebiet.
Häberle versprach, die Kollegen in Esslingen und das Landeskriminalamt von dem Zeugenhinweis zu informieren und die Experten der Spurensicherung auf die Albhochfläche zu schicken. Jetzt musste zunächst geklärt werden, ob es sich tatsächlich um die gesuchte Maschine handelte und vor allem, wo der Pilot war.
„Sie ist offenbar ganz in ein Waldeck hineingerollt worden”, erklärte Linkohr und fügte hinzu: „Ich fahr’ jetzt mal mit einer Streife rauf.”
Häberle legte auf und drückte als nächstes die Kurzwahl-Taste, die ihn mit dem zuständigen Kollegen beim Landeskriminalamt verband. Die beiden Männer frotzelten zunächst über
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