Irrflug
Blickrichtung auf die rückwärtige Fassade des Schlosses. Links von ihnen sahen sie die triste Betonmauer, die den Hof der Jugendarrest-Anstalt umgab, ein historisches Fachwerkhaus, für dessen kulturhistorische Vergangenheit die heutigen Insassen kaum Interesse haben dürften.
Andy, der mit Nachnamen Obermayer hieß und knapp 30 Jahre alt sein mochte, hatte sich besonders gestylt: Die schwarzen Haare pomadig an den Kopf geklebt, eine rotgestreifte Krawatte, kurzärmliges weißes Hemd und dunkle Hose. Das Jackett hatte er im Büro des Geldinstituts gelassen, in dem er als Anlageberater arbeitete.
„Hast du mit Elvira schon gesprochen?”, fragte Hausold mit gedämpfter Stimme während er sich umblickte, um ungewünschte Zuhörer rechtzeitig ausfindig machen zu können.
Andy schüttelte den Kopf und kniff die Augen zusammen, weil es nicht nur unerträglich heiß, sondern auch ungewöhnlich hell war. „Haben sich die Bullen wieder gemeldet?”
„Sie waren wieder bei Elvira”, begann Hausold leise, „sie haben die Tote identifiziert, irgendeine Sekretärin eines Steuerberaters.”
„Ach?”, machte Obermayer, „muss man die beiden kennen?”
„Keine Ahnung, ich weiß nicht, wie er heißt. Ist auch unwichtig”, Hausold wollte sich nicht an Nebensächlichkeiten aufhalten, „viel wichtiger ist, dass sie rausgekriegt haben, wen Elvira in Konstanz treffen wollte.”
Andy verengte die Augenbrauen und legt seinen linken Arm auf die Rückenlehne hinter Hausold. „Wie das denn?”
„Spielt ja keine Rolle. Jedenfalls wissen sie, dass es die Svea gibt. Und weil die auch Steuerberaterin ist, haben sie angefangen zu kombinieren. Mir gefällt die Sache überhaupt nicht mehr, Andy.” Hausold bückte sich nach vorne und stützte sich mit den Ellbogen auf den Knien ab.
„Und wir? Was ist mit uns?” Andy schien nervös zu werden. „Sind wir auch schon irgendwo ins Gespräch gekommen?”
Der Freund zuckte mit den Schultern und blickte seinen Gesprächspartner mit gesenktem Kopf von unten an. „Bis jetzt deutet offenbar nichts darauf hin. Es sei denn, einer von den anderen hat geplaudert.”
„Jens und Günter?” Andy erwartete keine Antwort.
„Günter wird nervös”, stellte Hausold fest, „ihm steht das Wasser bis zum Hals. Eine verdammt brenzlige Situation. Das weißt du.”
Andy spürte, wie sein Blutdruck stieg. Er wischte sich mit dem rechten Handrücken den Schweiß von der Stirn. „Was willst du damit sagen?”
Eine junge Frau, bauchnabelfrei und mit knallengen langen Jeans, kam vorbei, so dass Hausold zunächst nicht antwortete. Erst als sie außer Hörweite war, erklärte er: „Ich meine, dass wir in dieser Situation nun alles brauchen können, nur keine Panik. Stillhalten wäre dringend angeraten.”
„Und der Idiot tut’s nicht”, konstatierte Andy Obermayer.
„So ist es. Ein engstirniger Hund.”
„Wir müssen unter allen Umständen verhindern, dass die Bullen noch mehr bei uns rumschnüffeln”, meinte Obermayer fast beschwörend.
„Ich weiß doch auch nicht, verdammt noch mal, weshalb ausgerechnet wir in die Schusslinie geraten. Da gäb’s doch tausend Möglichkeiten, weshalb da einer auf der Hahnweide ein Weib umbringt.”
„Was schlägst du nun vor?” Andy wurde ungeduldig.
„Nichts, gar nichts. Keinerlei Aktivitäten mehr, verstehst du”, entschied Hausold mit energischer Stimme, „und mit Günter werd’ ich mal reden.”
Andy kniff seine Augen noch fester zu, so sehr war er von der Helle des Tages geblendet. „Mach’ ihm bitte aber auch klar, was für mich auf dem Spiel steht.”
Der andere nickte.
18
Häberle und Linkohr hatten für die 18 Kilometer von Kuchen bis Göppingen mehr als eine dreiviertel Stunde gebraucht. Als sie den ›Stauferpark‹ erreicht hatten, jenes Gewerbegebiet auf dem Gelände der früheren US-Kaserne, atmeten sie tief durch. Die alten Bäume bescherten Schatten, doch auch da dürften die Temperaturen inzwischen wieder weit über 25 Grad geklettert sein.
Häberle ging voraus, öffnete die große Tür ins Foyer des Verwaltungsgebäudes von ›Steinke-Network GmbH & Co. KG‹ und stellte sich einer Empfangsdame vor, die hinter einem großzügig gestalteten Tresen residierte. Sie war eine Spur zu dick, befand er insgeheim, war dann aber, als sie sich erhob, von ihrem raffiniert geschlitzten hellgrünen Kleidchen angetan. Er stellte auch seinen Kollegen vor und erkundigte sich nach Rottler. Er wollte den ›Dienstweg‹ beschreiten,
Weitere Kostenlose Bücher