Irrliebe
neuen Informationen auf, ließ sich die Briefe aushändigen und protokollierte unsere Aussagen. Was soll er auch sonst tun? Aber menschlich verbirgt sich dahinter eine große Tragik. Dominique will verstehen, was passiert ist. Und sie möchte, dass ich mich in ihren Mann hineindenke. Sie sagt, dass er sich in Paris sehr – wie sie es nannte – eigenwillig eingerichtet hat. Ich soll das sehen, um mir ein Bild zu machen. Sie will mich kennenlernen, weil ich auch Franziska gekannt habe. Irgendwie muss man beide Charaktere kennen, um zu verstehen, was dahinter steckt. – Vielleicht braucht Sie in dieser Angelegenheit auch mal juristischen Rat, wenn diese Dinge an die Öffentlichkeit drängen und ihr Ruf in Gefahr ist. Sie sagt, dass ihr Mann in letzter Zeit sehr sonderbar geworden ist. Sie will es nicht unbedingt allen erzählen. Deshalb braucht sie vielleicht dich, und ich wollte euch einander vorstellen. Darum waren wir bei dir. Dominique hat mich ins Vertrauen gezogen.«
»Soweit ich weiß, hat sie eine Kanzlei in Düsseldorf unter Vertrag«, warf Stephan ein.
»Für ihre geschäftlichen Dinge, Stephan, ich weiß. Aber hier geht es um ganz andere Sachen.«
»Du solltest vorsichtig sein, Marie. Dominique ist schwierig.«
»Ich werde die Zeit in Paris auch für mich nutzen können«, wiegelte Marie ab. »Ein paar Spaziergänge, neue Eindrücke von der Stadt, die ich zuletzt in der Schulzeit gesehen habe. Dominique fährt schon übermorgen, also Donnerstag, hin. Sie hat dort einen beruflichen Termin und bleibt dann für mehrere Tage dort. Sie macht das wohl häufiger so. Ich fahre am Freitagnachmittag mit dem Thalys ab Köln. Bin dann am frühen Abend in Paris-Nord. Von dort fahre ich mit der Metro bis in die Nähe ihrer Wohnung. Sie hat mir alles genau beschrieben. Mach dir also keine Sorgen.«
Marie beugte sich vor und spitzte ihre Lippen zu einem Kuss.
»Mach dir über uns keine Sorgen. Aber wir müssen lernen, so zu leben, wie wir wirklich sind.«
Als sie gegen zehn Uhr abends das Mama Mia verließen, machten sie noch einen Spaziergang durch das Kreuzviertel. Als sie vor Dominiques Haus standen, deutete Marie auf die erste Etage des Hauses mit der verspielten Jugendstilfassade. Hinter den roten Vorhängen des Erkerfensters brannte Licht.
»Da ist ihr Schlafzimmer«, erklärte Marie. »Dominique mag schwierig sein, aber sie ist, glaube ich, auch eine einsame Frau. Ihre Ehe mit Pierre schien zumindest in den letzten Jahren nicht mehr glücklich gewesen zu sein. Vielleicht war sie auch nie glücklich.«
»Du hast in letzter Zeit ein bisschen zu viel Verständnis für diese Charaktere«, meinte Stephan. »Ich glaube, Dominique hat dir nur suggeriert, dass sie dich braucht. In Wahrheit braucht sie nur sich selbst. Menschen wie Dominique wollen keinen Gesprächspartner auf gleicher Ebene.«
Arm in Arm gingen sie zu Stephans Auto zurück.
Zuhause öffnete Marie ihre Handtasche. Sie reichte Stephan vier Blätter.
»Es sind Kopien der Briefausdrucke, die Dominique heute bei der Polizei abgegeben hat«, erklärte sie.
Stephan ging in ihr gemeinsames Arbeitszimmer, setzte sich an seinen Schreibtisch, legte die dort befindliche Akte zur Seite und konzentrierte sich auf die beiden Schriftstücke, die die bislang einzige bekannte Verbindung zwischen Franziska Bellgardt und dem verschwundenen Pierre Brossard darstellten. Er las zunächst den Ausdruck von Pierres Brief an Franziska, auf dem oben links Chiffre 0829 und ein Stück darüber, sodass sie in das Sichtfenster eines Briefumschlags passte, die Adresse der Kult-Mund-Redaktion am Dortmunder Ostwall geschrieben war. Weiter unten rechts stand das Datum: Dortmund, den 15. Oktober. Dann folgten Pierres persönliche Zeilen:
Hallo Franziska,
mir fällt es schwer, Worte zu finden, die beschreiben und analysieren können, was zwischen uns passiert ist und warum sich unsere Wege, die sich so hoffnungsvoll kreuzten, wieder trennen müssen. Wie Du weißt, habe ich Dir alles im Gespräch zu erklären versucht, aber ich bin mir bewusst, dass ich gescheitert bin. Zuletzt haben wir uns fast geschlagen. Es ist zwischen uns eskaliert. Ich schäme mich dafür, aber ich kann nichts ungeschehen machen. Was kann ich Dir anderes sagen, als dass Du mit Deinen Vorwürfen im Recht bist, wenn Du mich einen Egoisten schimpfst, der Dich ausgenutzt, Dich vielleicht missbraucht, in jedem Fall aber Dein Herz und Deine Seele verletzt hat. Ich erinnere mich genau, als ich
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