Irrliebe
sich spannenden Weste.
»Bei uns hieß sie immer die Gräfin«, sagte er geringschätzig.
»Die Gräfin?«, wiederholte Stephan.
»Madame ist stets très exceptionelle«, alberte Löffke. »Oder hat sie ihren französischen Fimmel etwa abgelegt?«
»Nein«, bestätigte Stephan.
»Sie wissen doch, Knobel: Es gibt Mandanten, mit denen man gutes Geld verdienen kann, weil die Streitwerte stimmen und der Mandant sogar anstandslos und schnell bezahlt. So etwas wünscht man sich doch als Anwalt, oder?« Er wartete Stephans Antwort nicht ab, wissend, dass alle Anwälte so dachten. »Aber es gibt eben eine Unterart dieser Spezies«, belehrte er, »und das sind diejenigen Klienten, die einen in Beschlag nehmen, wegen jeder Kleinigkeit gepudert und gehuldigt werden wollen und dabei einen so ekelhaften Charakter haben, dass Sie sich übergeben möchten, wenn Sie diese Gestalt sehen oder nur daran denken.«
Stephan schmunzelte. Wie konnte Löffke Distanz zu Mandanten haben, die ihm in ihrem Charakter so ähnelten?
»Wenn ich Madame beschreiben soll, Knobel, dann bemühe ich am einfachsten den Vergleich mit einem Eiswürfel: Kalt, glatt und scharfkantig. Ich glaube, das trifft es am besten.«
Er hielt inne, als müsse er sich vergewissern, Frau Rühl-Brossard differenziert genug beschrieben zu haben.
»Dominique ist der beste Name, den so eine Dame haben kann. Sie ist durch und durch dominant. Aber sie hat Erfolg – und Geld. Schauen Sie mal, welche Bauprojekte aus ihren Plänen hervorgegangen sind oder ihre Handschrift tragen. Wir alle kennen den Titel: Der Teufel trägt Prada. Auf Dominique Rühl-Brossard bezogen müsste er lauten: Der Teufel prägt Baustile.« Er lachte dröhnend auf.
Stephan wehrte ab. »Habe verstanden. Danke, Herr Kollege!«
»Aber immer gern, Knobel! Sie können mich stets fragen, wenn Sie Hilfe brauchen.«
Er wippte selbstgefällig in seinem neuen Chefsessel.
Stephan lud Marie am Abend in das italienische Restaurant Mama Mia in der Chemnitzer Straße im Kreuzviertel ein. Früher hatten sie regelmäßig dieses Viertel besucht, waren durch die Straßen mit ihren hohen, häufig vom Jugendstil geprägten Häusern spaziert und hatten nach der einbrechenden Dunkelheit in viele der erleuchteten Wohnungen blicken können, aus denen behagliche Gemütlichkeit nach außen drang. Stephans beruflicher Neubeginn hatte den ersehnten Kauf einer Wohnung in dieser Gegend zunächst wirtschaftlich unmöglich gemacht. Die Einladung in das Mama Mia und das Aufleben des vernachlässigten Rituals knüpfte an alte Zeiten und vor allem daran an, dass sie ihr eigentliches Ziel nicht aus dem Blick verlieren durften. Dazu passte, dass Marie Frau Rühl-Brossard nach ihrem Besuch in Stephans Kanzlei noch in deren Wohnung begleitet hatte, eine nach Maries Worten üppig ausgestattete Luxuswohnung über zwei Etagen, mitten im Zentrum des Kreuzviertels gelegen und so eingerichtet, wie sich Marie und Stephan ihr eigenes Zuhause nur im Traum ausmalen konnten. Marie erzählte von den beiden marmornen Bädern, den Parkettfußböden, die das Wohnzimmer vom Esszimmer trennenden großen Schiebetüren mit ihren wertvollen Intarsien, den hohen, mit Stuck verzierten Decken, der Luxusküche mit allen nur denkbaren Vorzügen, alles in vorzüglicher Qualität und bestem Design. Maries Schilderung beantwortete Löffkes Frage, warum Frau Rühl-Brossard überhaupt in Dortmund wohnte, von selbst. Ohne Zweifel residierte sie mit ihrem Mann in einer der besten Wohngegenden überhaupt. Die oberen Etagen des ihr gehörenden Stadthauses mit den reich geschmückten und liebevoll restaurierten und gepflegten Erkern waren ihrem Architekturbüro vorbehalten, das sie – ihrem Selbstverständnis entsprechend – Studio nannte, in welchem sie angehende Architektinnen und Architekten beschäftigte, denen sie die Chance bot, sich durch eine Anstellung im Studio Rühl-Brossard zu qualifizieren und sich in der Szene einen Namen zu machen. Frau Rühl-Brossard forderte und förderte ihr Personal und trennte sich schnell von ihm, wenn es die Erwartungen nicht erfüllte oder sich den Zielvorgaben widersetzte, die die Architektin eisern verfolgte und als Garant ihres unzweifelhaften und mittlerweile internationalen Erfolges detailgenau umgesetzt sehen wollte. So, wie Löffke sie als Gräfin bezeichnete, galt sie in der Welt der Architekten als Meisterin. Sie kokettierte geschickt damit, dass sie als Schöpferin ihrer häufig mit angesehenen Preisen
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