Irrliebe
daran, dass dieses Wochenende an der Mosel, prall gefüllt mit ungezähmter Begierde, nur deshalb so einmalig sein konnte, weil wir beide jenseits unserer alltäglichen Welten in eine Zweisamkeit eintauchen konnten, in der wir alles hinter uns lassen und ohne einen Gedanken nach vorn uns gehen lassen konnten. Wir wissen beide, dass die Kulisse nicht halten konnte. Ich bekenne freimütig, dass ich verantwortungs-, zumindest aber gedankenlos gewesen bin, dies nicht von Anfang an gesehen zu haben oder es vielleicht nicht sehen gewollt zu haben. Kein Mensch kann aus seiner Welt hinaus, man kann sie höchstens ein wenig verändern. Ich bin bislang dazu zu träge gewesen, und es ist meine Schuld, dass ich aus meinem Unglück mit Dominique bislang keine Konsequenzen gezogen habe. Aber eine ganz andere Frage ist, ob ich bei und mit Dir und umgekehrt Du bei mir das findest, was ein jeder von uns wirklich sucht. Wir haben nach unserem Wochenende an der Mosel nicht mehr in jenen Rausch gefunden, der uns dort getragen hat und uns nur deshalb tragen konnte, weil wir beide aller Bindungen befreit waren, die unseren Alltag bestimmen. Wir wussten wenig, eigentlich gar nichts voneinander, und als wir bei unseren späteren Treffen begannen, jenseits aller körperlichen Gelüste unser Wesen, unsere Neigungen und unsere Charaktere zu erforschen, trennte uns mehr als uns verband. Ich habe Dir schließlich gesagt, dass ich zunächst zu Dominique zurückkehren werde, und Du hast mich deswegen verhöhnt, mir vorgeworfen, dass ich nur des Geldes wegen an einer Ehe festhalten wolle, die mir nichts bedeuten könne. Du magst es sehen, wie Du willst, aber in der Konsequenz geht es nicht um Dominique. Ich werde mich neu orientieren, mein Leben ordnen müssen. Aber ich weiß, dass wir keine Basis haben werden. Es wäre naiv, es dennoch gemeinsam versuchen zu wollen. Wir beide wissen, dass wir zu verschieden sind. Ich kann nicht länger auf der Wolke fliegen, auf der Du Dich mit mir wähnst. Das Leben ist bitterer und spröder, als Du denkst. Manchmal hasse ich es. Ich sehe das Dunkle, von dem Du in der Anzeige sprichst, aber es gibt für mich keinen spielerischen Wechsel zwischen den Elementen, an den Du glaubst. Meine Welt ist dunkel geworden, und Du wirst mich leider daraus nicht befreien können. Im Kern denken und fühlen wir ganz unterschiedlich. Was bei Dir Neugierde ist, ist bei mir Leiden, manchmal eine unheilvolle Sehnsucht nach dem Dunklen. Die Mosel war gleißend hell. Sie hat mich geblendet, mich betäubt, aber ich bin wieder auf dem Boden, Franziska. Du drohst mir, mich bei Dominique zu verraten, willst Dich an mich binden. Ich bitte Dich inständig, mich gehen zu lassen. Wir werden unser Leben nicht teilen können. Ich bedaure es, und ich schäme mich dafür, wenn ich in Dir Hoffnungen geweckt habe, die ich nicht zu erfüllen vermag. Sei glücklich, dass Du noch Hoffnungen hast. Ich habe keine mehr und werde einen Lebensweg finden müssen, der für mich erträglich ist. Mehr wage ich nicht zu erhoffen. – Siehst Du, nun habe ich doch eine Hoffnung formuliert. Aber sie ist, glaube mir, die einzige, die ich zu äußern wage. Lass mich bitte gehen, Franziska! Ich habe Dir im letzten Gespräch nicht sagen können, was ich Dir hier schreibe. Deine explodierende Wut erstickte meine ungelenken Worte. Also schreibe ich, was ich denke und fühle. Es ist meine einzige und abschließende Bitte an Dich: Lass mich gehen und vergiss mich! Ich bin keine Erinnerung wert.
Pierre
Stephan sah Marie irritiert an.
»Warum schreibt er ihr über Chiffre, wenn er sie doch längst kannte, als er ihr diesen Brief schrieb?«, fragte er.
»Vermutlich hat Franziska ihm ihre Adresse nie mitgeteilt, weil sie keine Konfrontation mit Daniel wollte«, schätzte Marie. »Letztlich hat sie so wenig mit ihrem Partner gebrochen wie umgekehrt Pierre mit Dominique.«
Stephan überlegte.
»Aber warum schreibt er die Chiffrenummer nochmals oben auf den Brief, der für Franziska bestimmt ist?«, fragte er weiter. »Wir wissen doch von Hilbig, dass die Interessenten ihren für den Adressaten bestimmten Brief in ein gesondertes Kuvert stecken, darauf die Chiffrenummer schreiben und diesen verschlossenen Umschlag dann nochmals in ein weiteres, größeres Kuvert stecken, das an die Kult-Mund-Redaktion gesandt wird.«
»Wir sollten ihn fragen«, schlug Marie vor. »Er müsste sich erinnern, weil er gerade Franziskas Inserat so viel Aufmerksamkeit geschenkt
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