Irrsinn
nicht den Eindruck, dass die Ehe seiner Eltern u n glücklich ist. Die beiden lieben sich doch. Das weiß er.
Barfuß und mit nacktem Oberkörper, nur mit seiner Pyjam a hose bekleidet, geht er los und wacht erst dabei richtig auf. Er geht den Flur entlang, dann die Treppe hinunter.
Er zweifelt nicht daran, dass seine Eltern ihn lieb haben. Auf ihre Weise. Sein Vater drückt eine strenge Zuneigung aus. Seine Mutter schwankt zwischen gutmütiger Vernachlässigung und Anfällen von mütterlicher Liebe, die ebenso echt wie übertri e ben sind.
Weshalb seine Mutter und sein Vater so frustriert voneinander sind, hat Billy nie verstanden. Es schien auch nicht so wichtig zu sein. Bis jetzt.
Als er ins Esszimmer kommt und schon die Tür zur Küche sehen kann, wird Billy gegen seinen Willen – oder nicht? – in die kalten Wahrheiten und geheimen Gedanken der beiden Menschen hineingezogen, die er am besten auf der Welt zu kennen meinte.
Er hätte sich nie vorstellen können, dass in seinem Vater ein derart heftiger Zorn tobt. Nicht nur die Lautstärke von dessen Stimme, sondern auch der ätzende Tonfall und die bösartige Ausdrucksweise lassen einen seit langem schwelenden Groll erkennen, dessen schwarze Schlacke ein idealer Brennstoff für einen solchen Ausbruch ist.
Sein Vater beschuldigt seine Mutter, ihn reihenweise mit anderen Männern betrogen zu haben. Er nennt sie eine Hure und noch Schlimmeres, während sein Zorn sich zu rasender Wut steigert.
Billy steht reglos im Esszimmer, völlig gelähmt von diesen Worten. Die Anschuldigungen gegen seine Mutter machen ihn ganz schwindlig. Bisher sind seine Eltern ihm immer asexuell vorgekommen. Beide sehen gut aus, aber er hatte gedacht, solchen Begierden stünden sie gleichgültig gegenüber.
Hätte er je darüber nachgedacht, wie er gezeugt wurde, so hätte er das nicht der Leidenschaft zugeschrieben, sondern der Erfüllung ehelicher Pflichten und dem Wunsch, eine Familie zu gründen.
Noch schockierender als die Anschuldigungen ist, dass seine Mutter sie bestätigt – und ihr Gegenangriff, der zeigt, dass sein Vater sowohl ein Mann als auch eine besondere Sorte Mann ist. Mit Ausdrücken, die noch vernichtender sind als seine, verspo t tet und verhöhnt sie ihn.
Ihr Spott gießt Öl ins Feuer und versetzt Billys Vater endgültig in Raserei. Ein klatschendes Geräusch zeugt von einem heftigen Schlag ins Gesicht.
Sie schreit vor Schmerz auf, sagt aber gleich: »Mir machst du keine Angst, mir machst du keine Angst!«
Gegenstände zerbersten, klappern, klirren – und dann hört Billy ein noch schrecklicheres Geräusch. Es hört sich an, als würde mit brutaler Wildheit auf jemand eingeschlagen werden.
Seine Mutter stößt einen entsetzten, schmerzerfüllten Schrei aus.
Ohne sich daran erinnern zu können, dass er das Esszimmer verlassen hat, steht Billy plötzlich in der Küche und brüllt seinen Vater an, er solle aufhören. Doch dieser scheint ihn nicht zu hören, ja nicht einmal wahrzunehmen, dass er da ist.
Sein Vater ist gebannt, hypnotisiert, besessen von der grässl i chen Kraft des Knüppels, den er schwingt. Es ist ein Schraubenschlüssel mit langem Griff.
Auf dem Boden windet sich Billys Mutter wie ein zertretener Käfer. Schreien kann sie nicht mehr, sie gibt nur noch qualvolle Geräusche von sich.
Auf dem Küchentisch sieht Billy weitere Waffen liegen. Einen Hammer. Ein Metzgermesser. Einen Revolver.
Sein Vater scheint diese Mordinstrumente dort arrangiert zu haben, um seine Mutter einzuschüchtern.
Offenbar hat sie sich nicht einschüchtern lassen, weil sie meinte, er wäre ein elender, kraftloser Feigling. Ein Feigling ist er tatsächlich, wie er da mit dem Schraubenschlüssel auf eine wehrlose Frau einschlägt, doch seine Fähigkeit, ihr Unheil zuzufügen, hat sie bei weitem unterschätzt.
Billy greift nach dem Revolver und umklammert ihn mit beiden Händen. Wieder brüllt er seinen Vater an, der solle aufhören, um Gottes willen aufhören; und als seine Warnung unbeachtet bleibt, feuert er einen Schuss in die Zimmerdecke.
Der unerwartete Rückstoß fährt ihm in die Schultern, und er taumelt überrascht zurück.
Sein Vater wendet sich ihm zu, aber nicht, um aufzugeben. Der Schraubenschlüssel ist eine Verkörperung der Finsternis, die ihn mindestens ebenso sehr beherrscht wie umgekehrt.
»Wer hat dich gezeugt?«, fragt sein Vater. »Wessen Sohn habe ich all die Jahre durchgefüttert, wessen kleinen Bastard?«
So unglaublich es ist, das
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