Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Irrsinn

Irrsinn

Titel: Irrsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
kamen ihm ganz in Schwarz gekleidete Pantomimen mit weiß gepudertem Gesicht und weißen Handschuhen in den Sinn.
    Kein Zweifel, hier war ein ästhetischer Geist am Werk, so pervers er auch sein mochte.
    »Ein Gefühl des Gleichgewichts«, kommentierte Billy, »eine Harmonie der Linie, eine Empfänglichkeit für Form. Am auffälligsten ist jedoch wohl eine Zurückhaltung, die streng, aber nicht affektiert ist.«
    Valis sagte nichts.
    Nun, da Billy dem Tod ins Antlitz blickte und sich dabei nicht von Furcht beherrschen ließ, flüchtete er merkwürdigerweise nicht mehr vor dem Leben, sondern nahm voll und ganz daran teil.
    »Ich habe Ihr Buch mit Kurzgeschichten gelesen«, sagte Valis.
    »Indem ich ihr Werk beurteilt habe«, erwiderte Billy, »wollte ich Sie eigentlich nicht dazu einladen, dasselbe mit meinem zu tun.«
    Ein kurzes, überraschtes Lachen entschlüpfte Valis. Es klang warm, zumindest übermittelten die Lautsprecher es so.
    »Trotzdem – ich habe Ihre Texte faszinierend und kraftvoll gefunden.«
    Billy schwieg.
    »Es sind die Geschichten eines Suchenden«, fuhr Valis fort. »Sie kennen die Wahrheit, Billy, und doch kreisen Sie um diese Frucht, Sie kreisen unablässig darum, ohne es sich einzugest e hen und davon zu kosten.«
    Billy wandte sich von der Sammlung ab und trat vor eine japanische Bronzefigur. Sie stellte zwei sich geschmeidig umwindende Fische dar und war einfach, aber doch wunderbar detailliert. Das Metall war sorgfältig so behandelt worden, dass es die Färbung und die Oberflächenstruktur von rostigem Eisen vortäuschte.
    »Macht«, sagte Billy. »Macht ist ein Teil der Wahrheit des Lebens.«
    Hinter der verschlossenen Tür wartete Valis auf den nächsten Satz.
    »Außerdem Leere«, sagte Billy. »Das Nichts. Der Abgrund.«
    Er trat zu einer anderen Bronzefigur. Ein bärtiger, in ein weites Gewand gehüllter Gelehrter und ein Hirsch saßen Seite an Seite da. Der Gelehrte lächelte, sein Gewand war mit Gold verziert.
    »Die Optionen«, sagte Billy, »sind Chaos oder Kontrolle. Mithilfe von Macht können wir etwas erschaffen. Mit Macht und festem Willen erschaffen wir Kunst. Die aber ist die einzige Antwort auf das Chaos und die Leere.«
    Nach kurzem Schweigen sagte Valis: »Nur eines bindet Sie noch an die Vergangenheit. Ich kann Sie davon erlösen.«
    »Durch einen weiteren Mord?«, fragte Billy.
    »Nein. Barbara kann weiterleben, und Sie können dennoch ein neues Leben beginnen … wenn Sie Bescheid wissen.«
    »Was wissen Sie denn, das ich nicht weiß?«
    »Barbara«, antwortete Valis, »lebt im Werk von Dickens.«
    Billy hörte einen scharfen Atemzug. Es war sein eigener, ein Ausdruck von Erstaunen und Erkenntnis.
    »Während ich in Ihrem Haus war, Billy, habe ich mir die Notizbüchlein angesehen, in denen Sie notiert haben, was Barbara im Koma gesagt hat.«
    »Ach ja?«
    »Bestimmte Phrasen, bestimmte Konstruktionen haben mich an irgendetwas erinnert. Dann habe ich auf dem Bücherregal im Wohnzimmer die gesammelten Werke von Dickens gesehen. Die haben doch ihr gehört?«
    »Ja.«
    »Sie hatte eine Leidenschaft für Dickens.«
    »Sie hat all seine Romane gelesen, und das mehrmals.«
    »Im Gegensatz zu Ihnen.«
    »Zwei oder drei habe ich schon gelesen«, sagte Billy. »D i ckens hat mir einfach nicht viel gesagt.«
    »Zu lebensvoll, vermute ich«, sagte Valis. »Zu viel Glauben und Überschwang für Ihren Geschmack.«
    »Mag sein.«
    »Barbara kennt diese Geschichten so gut, dass sie im Traum darin lebt. Die Phrasen, die sie im Koma spricht, stehen genau so in bestimmten Kapiteln.«
    »Mrs. Joe«, sagte Billy, der sich an seinen letzten Besuch bei Barbara erinnerte. »Das Buch habe ich gelesen. Das ist die Frau von Joe Gargery, die ältere Schwester von Pip, ein zänkisches Weib, das jeden schikaniert. Pip nennt sie ›Mrs. Joe‹.«
    » Große Erwartungen « , bestätigte Valis. »Barbara lebt in allen Büchern von Dickens, aber vor allem in den heiteren Abente u ern, weniger in den Schrecken von Romanen wie Eine Geschichte aus zwei Städten. «
    »Ich wusste gar nicht …«
    »Sie träumt eher von der Weihnachtsgeschichte als von den blutigsten Geschehnissen der Französischen Revolution«, fuhr Valis fort.
    »Das habe ich nie erkannt. Aber Sie haben das getan.«
    »In jedem Fall spürt sie weder Furcht noch Schmerz, denn sie kennt den Verlauf, den jedes Abenteuer nimmt. Deshalb genießt sie es und wird davon getröstet.«
    Billy ging zu einer weiteren Bronze und daran

Weitere Kostenlose Bücher