Irrsinn
eine junge Mutter u m bringen, die zwei Kinder hat.
Er wollte keine Wahl treffen. Niemand sollte sterben.
In ganz Napa County gab es wahrscheinlich Dutzende junger Mütter mit zwei Kindern. Vielleicht hundert, zweihundert oder mehr.
Selbst innerhalb von fünf Stunden hätte die Polizei nicht alle infrage kommenden Opfer identifizieren und warnen können. Man hätte sich der Medien bedienen müssen, um die gesamte Öffentlichkeit zu warnen, und das hätte womöglich Tage gedauert.
Nun, da nur noch knapp zwei Stunden übrig waren, konnte überhaupt nichts Substanzielles mehr geschehen. Eventuell verbrachte man schon mehr Zeit damit, Billy zu verhören.
Das hieß, eine junge Mutter, die sich der Mörder offensichtlich bereits ausgesucht hatte, würde sterben.
Was, wenn die Kinder aufwachten? Als Zeugen wurden dann vielleicht auch sie beseitigt.
Dieser Irre hatte schließlich nicht versprochen, nur die Mutter umzubringen.
In der feuchten Nachtluft stieg ein strenger Geruch vom mu l chigen Waldboden auf und trieb von den Bäumen zur Veranda.
Billy ging in die Küche zurück und schloss die Tür.
Als er später an einem winzigen Detail arbeitete, stach er sich in den Daumen. Er holte sich kein Pflaster. Die Wunde war klein und würde sich bestimmt rasch schließen.
Dann ritzte er sich einen Fingerknöchel auf, war jedoch so aufs Schnitzen konzentriert, dass er sich nicht darum kümmerte. Stattdessen arbeitete er noch schneller und merkte gar nicht, als er sich einen dritten winzigen Schnitt zufügte.
Hätte es einen Beobachter gegeben, so wäre es diesem w o möglich so vorgekommen, als wollte Billy bluten.
Weil seine Hände sich ständig bewegten, nässten die Wunden weiter. Das Blut wurde vom Holz aufgesaugt.
Nach einer Weile merkte er, dass sich die Oberfläche seines Werkstücks völlig verfärbt hatte. Er stellte das Schnitzen ein und legte das Messer weg.
Eine Weile saß er da und starrte auf seine Hände. Dabei atmete er schwer, obwohl es keinen Grund dafür gab. Mit der Zeit hörte es auf zu bluten und fing auch nicht wieder an, als er sich am Spülbecken die Hände wusch.
Es war Viertel vor zwölf, als er sich die Hände an einem Geschirrhandtuch trocknete, um dann ein kühles Guinness aus dem Kühlschrank zu holen und es aus der Flasche zu trinken. Er leerte es zu schnell.
Fünf Minuten nach dem ersten Bier machte er ein zweites auf. Das goss er in ein Glas, um sich dazu zu bringen, es langsamer zu trinken.
Mit dem Bier in der Hand stand er vor der Wanduhr.
Zehn vor zwölf. Countdown.
So gern sich Billy auch etwas vorgemacht hätte, es gelang ihm nicht. Er hatte sich entschieden, keine Frage. Du hast die Wahl. Nicht zu handeln war auch eine Entscheidung.
Die Mutter, die zwei Kinder hatte – sie würde heute Nacht am Leben bleiben. Wenn der mordlüsterne Irre sich an seinen Teil der Abmachung hielt, dann wachte diese Mutter morgen auf, ohne dass ihr etwas geschehen war.
Billy war nun ein Teil dessen, was da vor sich ging. Das konnte er zwar leugnen; er konnte davonlaufen oder den Rest seines Lebens die Jalousien unten lassen und die Grenze vom Einsiedler zum Eigenbrötler überschreiten, doch der fundame n talen Tatsache, dass er ein Teil des Geschehens war, entkam er damit nicht.
Der Mörder hatte ihm eine Partnerschaft angeboten. Die hatte er nicht haben wollen. Nun jedoch stellte es sich heraus, dass es sich gewissermaßen um einen jener aggressiven Schachzüge handelte, die im Wirtschaftsteil der Zeitung als »feindliche Übernahme« bezeichnet wurden.
Als Mitternacht kam, leerte er das zweite Bier. Er wollte ein drittes. Und ein viertes.
Nein. Er musste einen klaren Kopf behalten. Als er sich jedoch fragte, warum, fiel ihm keine plausible Antwort ein.
Für heute Nacht war seine Rolle beendet. Er hatte eine Wahl getroffen, und der Täter würde morden.
Sonst geschah heute Nacht nichts mehr, bis auf die Tatsache, dass Billy ohne weiteres Bier womöglich nicht einschlafen konnte. Dann musste er weiterschnitzen.
Die Hände taten ihm weh. Nicht wegen der drei belanglosen Wunden, sondern weil er die Werkzeuge zu verkrampft gehalten und das Holzstück umklammert hatte, als wollte er es zerque t schen.
Ohne Schlaf war er nicht für den Tag bereit, der vor ihm lag. Mit dem Morgen würde die Nachricht von einer weiteren Leiche kommen. Dann erfuhr er, wen er zum Sterben ausgewählt hatte.
Billy stellte sein Glas ins Spülbecken. Er brauchte kein Glas mehr, weil es ihm jetzt egal war, wie
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