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Irrsinn

Irrsinn

Titel: Irrsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Umriss und Schattierung besaß, aber kaum mehr Substanz als ein Gespenst. In seinen eigenen vier Wänden sah er wie ein Fremder aus.
    Er schaltete das Gerät wieder ein. Dann schloss er die Schranktüren und stellte die Trittleiter weg.
    Im Badezimmer wechselte er den Verband an seiner Stirn. Die Hakenwunden waren feuerrot, aber nicht schlimmer als vorher.
    Billy zog sich um. Sein neues Outfit bestand aus einem schwarzen T-Shirt, schwarzen Jeans und festen schwarzen Schuhen. Es waren nur noch vier Stunden bis zum Sonnenunte r gang, und wenn die Dämmerung vorüber war, musste Billy sich in der feindlichen Nacht so unauffällig bewegen können wie nur möglich.
     

40

    Gretchen Norlee trug gern strenge dunkle Kostüme ohne jeglichen Schmuck, kämmte das Haar ebenso streng zurück, betrachtete die Welt durch eine Brille mit Stah l rahmen – und schmückte ihr Büro mit Plüschtieren. Zu der auf Regalen angeordneten Sammlung gehörten ein Teddybär, ein Frosch, eine Ente, ein Hase mit Schlappohren und ein mitternachtsbla u es Kätzchen, vor allem jedoch Hunde, die den Besucher mit offenem Maul und rosafarbenen oder roten Samtzungen begrü ß ten.
    Gretchen verwaltete das Pflegeheim mit seinen exakt einhu n dertzwei Betten mit militärischer Tüchtigkeit und maximalem Mitgefühl. Ihre warmherzige Art strafte die Schroffheit ihrer scharfen Stimme Lügen.
    Dennoch verkörperte sie keine größeren Widersprüche als jeder andere Mensch, der in dieser äußerst schnell wandelnden Welt immer wieder neu sein Gleichgewicht fand. Ihre Wide r sprüche waren nur deutlicher sichtbar und liebenswerter.
    Um zu signalisieren, dass sie die Begegnung eher als persönl i ches Gespräch denn als geschäftliche Angelegenheit betrachtete, verließ Gretchen ihren Posten hinter dem Schreibtisch und setzte sich zu Billy auf den zweiten Sessel, der davor stand.
    »Weil Barbara ein Privatzimmer hat, kann man ihr auch außerhalb der üblichen Besuchszeit Gesellschaft leisten, ohne dass andere Patienten gestört würden«, erklärte sie. »Also sehe ich da kein Problem, auch wenn Angehörige normalerweise nur dann über Nacht bleiben, wenn ein Patient gerade aus dem Krankenhaus gekommen ist.«
    Gretchen war zwar zu diskret, um ihrer Neugier direkt Au s druck zu verleihen, aber Billy fühlte sich trotzdem verpflichtet, eine Erklärung abzuliefern, selbst wenn jedes einzelne Wort davon eine Lüge war.
    »In meiner Bibelstudiengruppe haben wir darüber gesprochen, was in der Heiligen Schrift über die Kraft des Gebets steht.«
    »Ach, Sie sind in einer Bibelstudiengruppe!«, sagte Gretchen in erstauntem Ton. Offenbar hatte sie Schwierigkeiten, sich vorzustellen, dass jemand wie Billy sich einem derart frommen Zeitvertreib widmete.
    »Neulich hat sich bei einer großen medizinische Studie was Interessantes ergeben: Wenn Freunde und Verwandte für einen Patienten beten, wird der häufiger und auch schneller wieder gesund.«
    Als über diese durchaus umstrittene Studie in der Zeitung berichtet worden war, war es in der Kneipe zu heftigen Disku s sionen gekommen. Die Erinnerung daran, nicht die Teilnahme an einem frommen Zirkel, hatte Billy zu seiner Geschichte inspiriert.
    »Ich glaube, davon hab ich auch gelesen«, sagte Gretchen Norlee.
    »Natürlich bete ich jeden Tag für Barbara.«
    »Natürlich.«
    »Aber inzwischen habe ich den Eindruck, dass ein Gebet mehr Gewicht bekommt, wenn es mit einem Opfer verbunden ist.«
    »Mit einem Opfer …«, wiederholte Gretchen nachdenklich.
    Billy lächelte. »Damit habe ich nicht gemeint, ich will ein Lamm schlachten.«
    »Aha. Das wird die Putzmannschaft freuen.«
    »Aber ein Gebet vor dem Zubettgehen kann noch so aufrichtig sein, es ist keine besondere Unannehmlichkeit.«
    »Das leuchtet mir ein.«
    »Bestimmt ist ein Gebet bedeutsamer und wirkungsvoller, wenn man dafür etwas auf sich nimmt – zum Beispiel wenig s tens eine schlaflose Nacht.«
    »So hab ich es zwar nie gesehen, aber …«
    »Deshalb möchte ich von Zeit zu Zeit die ganze Nacht bei Barbara sitzen und beten«, sagte Billy. »Wenn es ihr nicht helfen sollte, dann hilft es zumindest mir.«
    Während er sich reden hörte, hatte er den Eindruck, so verl o gen zu klingen wie jener Typ von TV-Evangelist, der selbst dann noch die Tugend der Keuschheit verkündet, nachdem man ihn in Begleitung einer Hure nackt auf dem Rücksitz seiner Limousine erwischt hat.
    Offenbar hörte Gretchen Norlee etwas anderes als er selbst. Ihre Augen hinter der

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