Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt
Produktionsanlagen nicht weitgehend zerstört? Wurde das spätere Volkswagenwerk nicht sprichwörtlich auf Kriegstrümmern wieder neu errichtet? So lautet die verbreitete Meinung über die Anfänge von Volkswagen nach dem Zweiten Weltkrieg. Und diese Ansicht unterstützte die Führung des Autobauers auch nach Kräften, denn der Wiederaufstieg sollte nicht durch verständliche Ressentiments gegen eines von Hitlers Lieblingsprojekten vereitelt werden.
Der glühende Autofan Adolf Hitler bekundete gerne, das Auto habe ihm die schönsten Stunden seines Lebens geschenkt. Dank guter Beziehungen fuhr er schon seit 1923 zumeist kostenlos zur Verfügung gestellte Mercedes. Spätere Bilder von ihm im »Führer-Mercedes«, den man sogar als Spielzeugmodell kaufen konnte, gehören zum kollektiven Erinnerungsgut. Die Nationalsozialisten versprachen Wohlstand – und dazu sollte ein »Volkswagen« gehören, wie er schon seit den 1920er-Jahren gefordert wurde. Der sollte 1938 auf den Markt kommen, sein offizieller Name lautete »KdF-Wagen« – benannt nach der das Projekt tragenden Freizeitorganisation »Kraft durch Freude« –, die Produktionsstätten dafür errichtete man nach US-Vorbild. Gleich neben diesen Fabriken am Mittellandkanal nahe dem niedersächsischen Fallersleben begann der Bau einer nationalsozialistischen Musterstadt: das heutige Wolfsburg. Man dachte in großen Dimensionen, denn für das Volksauto war ein reißender Absatz vorgesehen: Dereinst sollten in der größten Autofabrik der Welt jährlich anderthalb Millionen Wagen vom Band rollen. Bis zum geplanten Termin konnte der deutsche Volksgenosse immerhin an einer Ansparaktion teilnehmen und sozusagen designierter Autobesitzer werden: »5 Mark die Woche musst du sparen, willst du im eignen Wagen fahren!« Die allgegenwärtige Werbung konnte fast vergessen machen, dass das Modell noch gar nicht vom Band lief, wie die Exil-SPD feststellte: »Diese durch das Propagandaministerium geschickt laufend genährte und gelenkte Autopsychose hält die Masse von der Beschäftigung mit der trostlosen Gegenwart fern. Bei dem Autosparer hat Hitler innerpolitischen Kredit bis zur einstigen Wagenauslieferung. Es ist bekannt, dass der Mensch während der Zeit, wo er auf ein bestimmtes Gut hin spart, sich über manche Entbehrung leicht hinwegsetzt.« Die über 250 Millionen Reichsmark, die nach und nach dabei anfielen, kamen dem Staat zudem sehr gelegen.
Dann aber begann Nazideutschland den Zweiten Weltkrieg, und von Hitlers Vorgaben, der »KdF-Wagen« müsse wahlweise drei Erwachsene mit Kind oder drei Soldaten mit Maschinengewehr und Munition aufnehmen können, wurde letztere Wirklichkeit. Ein Flüsterwitz aus Norddeutschland hatte dieses Kalkül beim Projekt »Volkswagen« ohnehin längst thematisiert: Fietje arbeitet in einer Fabrik, in der das Gefährt hergestellt wird. Er trifft Hein, der ihm empfiehlt, doch jeden Tag ein Stück davon in der Tasche mit nach Hause zu nehmen. Fietje antwortet: »Das habe ich schon die ganze Zeit getan.« Darauf Hein: »Und trotzdem hast du noch immer kein Auto?« Fietje: »Nein, ich habe das alles schon drei- bis fünfmal zusammengebaut, aber es geht einfach nicht.« Hein: »Nanu, das ist ja merkwürdig.« Fietje: »Ja, weißt du, da kommt jedes Mal eine Kanone beim Zusammensetzen heraus!« In Berlin lautete der unvermeidliche Spitzname für das in Aussicht gestellte Volksauto »Bomberwagen«. Im späteren Wolfsburg stellte man sich zwar auf Rüstungsproduktion ein – gleichwohl war, allen Annahmen zum Trotz, weder die Fabrik von vornherein als Rüstungsschmiede noch das Auto für den Armeegebrauch konzipiert worden. Der ab 1940 gefertigte »Kübelsitzwagen« erwies sich trotzdem als robust und zuverlässig. Dass er zur beliebten Beute der Kriegsgegner wurde, mag seine Nachkriegskarriere begünstigt haben.
Als der Krieg zu Ende war, machte sich Volkswagen zunutze, dass die Konkurrenz den Neuanfang verzögerte – und profitierte von der erstaunlichen Tatsache, dass trotz der unübersehbaren und auf den ersten Blick verheerend wirkenden Bombentreffer auf das Werk nur acht Prozent der Maschinen zerstört waren, weil man den Großteil rechtzeitig ausgelagert oder zur Sicherheit eingemauert hatte. Vieles war unversehrt, der Rest wurde alsbald repariert. Bombentreffer hatte es ohnehin erst gegen Ende des Krieges gegeben, vor allem im Hochsommer 1944. Überaus akkurate Untersuchungen der »United States Strategic Bombing Survey«
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