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Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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fünfzehn Jahren seiner Tätigkeit von den unter ihm Verurteilten ein knappes Drittel ins Gefängnis, ein weiteres Drittel wurde zum Tragen des Büßerhemds verdonnert – aber nur 42 der insgesamt 930 Delinquenten wurden dem Scheiterhaufen überantwortet, weniger als fünf Prozent. Ein besonders milder Inquisitor, der es zwei Jahre ebenfalls in Toulouse mit dem notorischsten Ketzernest des Mittelalters zu tun hatte, sprach in dieser Zeit kein einziges Todesurteil aus. Berechnungen haben ergeben, dass offenbar selbst in den unruhigsten Ketzerzeiten des südfranzösischen Languedoc pro Jahr weniger als eine Handvoll Ketzer verbrannt wurden. Die meisten Inquisitoren waren sehr vorsichtig mit der Verhängung der Todesstrafe – das Anliegen der Inquisition war ja auch nicht die schlimmstmögliche Bestrafung der verirrten Schafe, sondern ihre Rückführung in den rechtgläubigen Schoß der Kirche. Nur wenn diese Aussicht nicht zu bestehen schien, kam das Todesurteil überhaupt in Frage. Bei aller abschreckenden Wirkung bedeutete jede Verurteilung zum Tode, dass die Kirche in ihrem Auftrag, ihre Schäfchen beisammenzuhalten, versagt hatte. Es waren in erster Linie die Unbeirrten oder Unbelehrbaren oder besonders Fanatischen unter den Abweichlern, die verbrannt wurden.
    Doch Fanatismus kam auf Seiten der Inquisitoren gleichermaßen vor, was das Bild der Ketzerverfolgung viel mehr geprägt hat als das Vorgehen der behutsameren Kollegen. Das Gefühl der existenziellen Bedrohung der Kirche sorgte mitunter für regelrechte Paranoia, sowohl bei deren Vertretern als auch bei einfachen Christen. Einige Ketzersekten, die in mittelalterlichen Schriften geführt werden, wurden von modernen Historikern sogar als reine Hirngespinste entlarvt. Und in der Überzeugung, Häretiker vor sich zu haben, legte manches Tribunal den Angeklagten entsprechende Aussagen in den Mund. Zu solchen Verfehlungen gesellte sich Bereicherung der Inquisitoren am konfiszierten Eigentum der Verurteilten – kam es zu entsprechenden Beschwerden gegen die Inquisitoren, suchte die römische Kurie den Missbrauch zu bekämpfen.
    Sehr viel grausamer und blutiger als die päpstliche war die spanische Inquisition, die in einem schwierigen Umfeld agierte, denn die Iberische Halbinsel war bis 1492 in Teilen muslimisch und besaß bis dahin eine starke jüdische Minderheit. Als die religiöse und kulturelle Toleranz mit der Reconquista durch das Christentum 1492 zu Ende ging, entfaltete die Inquisition erheblichen Terror, es ging weniger um Ketzerei als um die Durchsetzung einer makellos christlichen Gesellschaft in jeglicher Hinsicht. Aus der spanischen Inquisition entstand das Schreckbild, das die Aufklärung im 18. Jahrhundert begierig aufgriff.
    Wir wollen hier keine vormoderne Institution verteidigen, als hätte sie vor Jahrhunderten modernen Rechtsnormen entsprochen, zumal in Europa heute Glaubensfreiheit zu Recht als eine unverzichtbare Errungenschaft gilt. Keine Religion sollte über das Leben seiner Anhänger entscheiden dürfen, keine Religion sollte Glaubensdiktatur betreiben können. Die historische Beurteilung der mittelalterlichen Inquisition muss aber zeitgenössische Kategorien berücksichtigen. Ketzerei galt nicht nur geistlichen und weltlichen Autoritäten als Verbrechen, sondern dem Großteil der Menschen. Ihre Verfolgung wurde von einer Mehrheit als existenziell notwendig angesehen, ja gefordert. Die Norm einer universell christlichen Gesellschaft verlangte, dass man sich der Ketzer erwehrte, weil der Makel der Häresie eine Gemeinde sonst als Ganzes traf.
    Auch strukturell ist die mittelalterliche Ketzerverfolgung nicht vergleichbar mit den bürokratisierten Terrorinstrumenten neuzeitlicher Diktaturen. Erst Papst Paul III. schuf 1542 eine richtige Behörde, also eine Art päpstlicher Oberinstanz in Glaubenssachen als Instrument der Gegenreformation zur Abwehr des Protestantismus. Dazu gehörte beispielsweise der berüchtigte Index verbotener Bücher, aber auch Ketzerprozesse wie gegen den Wissenschaftler Galileo Galilei oder den Philosophen Giordano Bruno. Dieses Heilige Offizium war Vorläufer der päpstlichen Glaubenskongregation, die bis heute besteht und die Glaubensgrundsätze der römisch-katholischen Kirche vorgibt, wenn auch nicht mehr gewaltsam durchzusetzen versucht.

Die Ratten waren gar nicht schuld an der Pestwelle im Mittelalter – IRRTUM!
    Es war wie ein Vorbote des Weltuntergangs: Seit Herbst 1346 fielen in Europa Menschen

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