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Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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die Erreger nach Konstantinopel, Kairo und schließlich Sizilien und nahmen ihren unheilvollen Weg über die europäischen Wasserstraßen und großen Handelswege in Richtung Norden – Skandinavien war 1353 an der Reihe. In seiner Heimatstadt Florenz erlebte Giovanni Boccaccio 1348 das Wüten des Schwarzen Todes und beschrieb es gleich zu Anfang seines berühmten Decamerone : »Tag und Nacht verendeten Menschen auf offener Straße, und viele, die in ihren Häusern umkamen, taten, wenn nicht anders, erst mit dem Gestank ihrer verwesenden Körper ihren Nachbarn kund, dass sie tot waren. Von solchen und anderen, die überall dahingerafft wurden, war die Stadt mit Leichen übersät. (…) Ach, wie viele große Paläste, wie viele herrliche Häuser und vornehme Wohnungen, zuvor von zahlreicher Dienerschaft, Herren und Damen bewohnt, wurden jetzt bis auf den letzten Knecht geleert! Wie viele ehrwürdige Geschlechter, wie viel kostbares Gut, welche ungeheuren Reichtümer sah man ohne würdige Erben bleiben! Wie viele tapfere Männer, wie viele schöne Frauen, wie viele blühende junge Menschen, die sogar Galenus, Hippokrat und Äskulap für kerngesund gehalten hätten, speisten am Morgen mit ihren Eltern, Freunden und Gefährten und tafelten schon am darauffolgenden Abend drüben in der anderen Welt bei ihren Ahnen!«
    Während die Zeitgenossen rätselten, was die Ursache der grauenhaften Seuche war, die seither sprichwörtlich für alle Übel wurde, ermöglichte die Entdeckung des Pestbakteriums Ende des 19. Jahrhunderts durch den Schweizer Arzt und Bakteriologen Alexandre Yersin, endlich den Verbreitungswegen der Pest auf die Spur zu kommen.
    Die Herleitung der Pest des Mittelalters durch die Ansteckung von Rattenflöhen ist allerdings in jüngerer Zeit immer wieder in Zweifel gezogen worden. Der Zoologe David Davis wies darauf hin, dass bei den zeitgenössischen Beschreibungen der Seuche die Ratten gar nicht vorkämen, obwohl dem Ausbruch der Pest ein massenhaftes Sterben der Nager hätte vorangehen müssen, weil sonst die Rattenflöhe nicht die Menschen befallen hätten. Aufgrund seiner Forschungen stellte er in Abrede, dass es im Europa des 16. Jahrhunderts so viele Ratten gab, wie allgemein behauptet. Nach seinem Befund war es nicht die durch Ratten übertragene Beulenpest, die als Schwarzer Tod ihr Unwesen trieb, sondern die Lungenpest, die von Mensch zu Mensch übertragen wird. Andere Skeptiker betonen, die Terminologie helfe wenig weiter, weil im Mittelalter Krankheitsbezeichnungen oft eine andere Bedeutung besaßen als heute. Für eine ganz andere Krankheit als die Pest spreche, dass neuzeitliche Epidemien anders verliefen. Allerdings: Zum Terminologieproblem gehören ebenso die Ratten, weil im 14. Jahrhundert Tiere noch nicht modern klassifiziert waren, weshalb auch hier mit einer Nennung in den Quellen nicht notwendigerweise genau das Tier gemeint ist, welches wir heute darunter verstehen. Zuletzt behauptete der britische Archäologe Barney Sloane, die Sache mit den Ratten müsse als substanzloser Mythos zu den Akten gelegt werden. Man habe bei archäologischen Untersuchungen gar nicht so viele Rattengebeine aus dieser Zeit gefunden, dass von einer ausreichenden Population ausgegangen werden könne, wie sie für das Ausmaß der Seuche notwendig gewesen wäre. Er vermutete, die Menschen hätten sich vielmehr gegenseitig angesteckt. Sloane geht davon aus, dass es sich beim Schwarzen Tod des 13. Jahrhunderts nicht um die Pest gehandelt hat, sondern um eine ähnliche Krankheit mit vergleichbaren Symptomen.
    Die Mehrheit der Forschung bleibt aber mit guten Gründen bei der bisherigen Annahme, dass Mitte des 14. Jahrhunderts eine vornehmlich von Ratten verursachte Pestepidemie gewütet hat. Neuere Forschungsergebnisse bestätigen ihre Beharrlichkeit. Denn inzwischen konnte durch Analysen an Opfern des Schwarzen Todes nachgewiesen werden, dass tatsächlich der Erreger Yersinia pestis grassierte, darunter eine besonders gefährliche Variante, die heute nicht mehr vorkommt. Es konnte sogar nachgewiesen werden, dass die Erreger aus Asien stammten, dass also keine »Schläferviren« aus älteren Pestwellen, etwa der Spätantike, tätig geworden waren. (Dass aber schon wegen der anzunehmenden Hysterie neben der echten Pest auch andere Krankheiten als solche aufgefasst wurden, beispielsweise Milzbrand, ist durchaus wahrscheinlich.) Die in Zähnen von Pesttoten gefundene DNA der Erreger stimmt außerdem mit derjenigen

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