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Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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der Kirche, die er 1517 publik machte, alles entwickeln sollte. Von Wittenberg aus, wo der Bettelbruder Luther an der Universität lehrte, gingen gewaltige Erschütterungen durch Europa, religiös und politisch gleichermaßen. So gewaltig war der Sprengstoff der reformatorischen Bewegung, dass sich im Christentum nach der orthodoxen eine weitere große Konfession bildete und der ganze Kontinent an den daraus folgenden Auseinandersetzungen und Kriegen mehr als ein Jahrhundert laborierte. Für den Bauernkrieg mit seinen sozialreformerischen Forderungen lieferte die Reformation das Rüstzeug und die wachsende Überzeugung, auch der kleine Mann könne im Großen Einfluss nehmen.
    Anlass für den Bauernkrieg, die Erhebung von Landleuten und einigen Städten, war die wachsende Not der einfachen Leute. Wirtschaftliche und soziale Gründe wogen schwerer als religiöse, die Wut richtete sich gegen die weltliche und geistliche Herrschaft, die den Entwicklungsdruck frühmoderner Staatlichkeit in Form von Steuern und verschärfter Herrschaftsausübung nach unten weitergab. Es begann 1524 in Stühlingen am südlichen Rand des Schwarzwalds sowie in Forchheim bei Nürnberg und nahm Anfang 1525 in Oberschwaben Fahrt auf, um im Frühjahr mit aller Wucht weite Teile Mittel- und Süddeutschlands zu erfassen. Freiheitsartikel wurden postuliert, Forderungskataloge aufgestellt, Abgaben verweigert, Städte und Schlösser, Kirchen und Klöster gestürmt, Veränderungen erzwungen. Die Zentren des gewaltsamen Protests lagen in Schwaben und Württemberg, Österreich, der Schweiz und Thüringen, und die Gegner der Bauern waren nicht nur die katholische Obrigkeit, sondern ebenso die protestantischen Fürsten. Die heute noch bekanntesten Anführer der uneinheitlichen Bewegung waren Thomas Müntzer, ein radikalchristlicher Fundamentalist, der Tiroler Michael Gaismair und der Reichsritter Götz von Berlichingen, den Goethe unsterblich gemacht hat. Neben ihnen versuchten zahlreiche regionale Anführer, die Anliegen der Bauern durchzusetzen: mildere Lasten und mehr Freiheit und Mitbestimmung. Es war ein Flächenbrand, der die Herrschenden in Angst und Schrecken versetzte, schließlich waren damals unter zehn Menschen acht Bauern. Aber da die Aufständischen weder politisch noch militärisch eine Einheitsfront zu bilden vermochten, konnten sie ihr enormes Potenzial nicht ausschöpfen. Die Fürsten warfen die Erhebung 1525 in verschiedenen großen Schlachten in Thüringen, Württemberg und dem Elsass überaus brutal nieder. Müntzer war im thüringischen Frankenhausen dabei, als eine der wichtigsten und die gleichzeitig letzte Schlacht des Bauernkrieges geschlagen wurde. Sie endete in einer blutigen Niederlage der Aufständischen, Müntzer wurde vom gegnerischen Fürstenheer gefangen genommen und eine Woche später hingerichtet.
    Anschließend wurde abgerechnet: Die Fürsten führten Strafaktionen durch, Anführer wurden gefoltert und hingerichtet, Schäden zu Lasten der Bauern reguliert, die ihre Waffen abgeben mussten, finanzielle Wiedergutmachungen eingefordert. Zeitgenössische Berichte schildern die Unerbittlichkeit der Sieger, deren Grausamkeit andere entsetzt veranlasste, Aufrufe zur Mäßigung zu verfassen. Zwar wurde dabei nicht wahllos vorgegangen, sondern vielmehr geprüft und verhandelt, wer sich in welchem Maße am Aufstand beteiligt und damit strafbar gemacht hatte. Dennoch sollten die Maßnahmen abschreckend sein und einen erneuten Aufstand verhindern, ebenso die folgenden Unterdrückungsmaßnahmen, die der Reichstag 1526 beschloss. Aber schon dieser Reichstag von Speyer beschritt gleichzeitig einen anderen Weg: Ein »Großer Ausschuss« erörterte eingehend Zustände und Forderungen der Bauern, prüfte, was althergebrachte Rechte waren und wo die Last der Landleute übermäßig und willkürlich verschärft worden war. Er empfahl eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen, um die Lage der Bauern zu verbessern und sie von der Willkür ihrer geistlichen und weltlichen Herren zu entlasten. Eine Art Mediation zwischen Obrigkeit und Untertan, bei der beide Seiten Rechte geltend machen können, sollte das Konfliktpotenzial verringern. Im Ergebnis hatte der Bauernkrieg durch die Niederlage der Aufständischen sein revolutionäres Ziel einer radikalen sozialen und politischen Umwälzung verfehlt. Die Verhältnisse wurden auf alter Grundlage wiederhergestellt, die Reformation in staatliche Regie übernommen, um ihr die revolutionäre Sprengkraft zu

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