Irrweg Grundeinkommen
Produktionsmöglichkeiten Schritt hält, muss die Gesamtnachfrage auch bei konstanten positiven Nettoinvestitionen dauernd wachsen. Sonst käme es zu Überkapazitäten, entsprechend sinkender Investitionsnachfrage und Beschäftigungsabbau, also zu genau dem, was Rationalisierungskritiker vor Augen haben, wenn sie warnen, dass wir schneller produktiv werden, als wir konsumieren können. Nur mit einem ausreichenden Wachstum der Gesamtnachfrage, die vorwiegend vom Lohnwachstum gespeist wird, ist eine stabile Kapazitätsauslastung und eine kontinuierliche Investitionstätigkeit möglich. Also muss man sich mit dem Lohnwachstum auseinandersetzen, will man die Entwicklung der Investitionstätigkeit verstehen und einen Weg zu mehr Arbeitsplätzen finden.
Lohnzurückhaltung in Deutschland
Die Lohnquote, ob bereinigt oder unbereinigt, sagt noch relativ wenig darüber aus, wie zurückhaltend oder überbordend dieLohnentwicklung in einem Land ist. Denn wenn in einer Rezession durch Kurzarbeitergeld, wie 2009/2010 in Deutschland geschehen, die Einkommen der Beschäftigten nicht ganz so drastisch einbrechen wie die Gewinne, kann sich zwar die relative Position der Arbeitseinkommen gegenüber den Gewinneinkommen verbessern, sprich: die Lohnquote steigen, absolut gesehen geht es den Beschäftigten jedoch schlechter als zuvor.
Auch die Lohnsumme selbst ist noch kein aussagekräftiger Indikator zur Beantwortung der Frage, ob die Lohnentwicklung angemessen, zurückhaltend oder überbordend ist. Ihre Zunahme kann ganz unterschiedliche Gründe haben: So können die Stundenlöhne gestiegen sein bei gleichbleibender Zahl der geleisteten und bezahlten Arbeitsstunden. Oder die Zahl der Arbeitsstunden hat zugelegt bei konstanten Stundenlöhnen. Oder es ist eine Kombination beider Varianten eingetreten. Ob mit der Zahl der Arbeitsstunden zugleich die Zahl der Beschäftigten zu- und die der Arbeitslosen abnimmt, ist zum einen eine Frage der Verteilung der Arbeitszeit – wie entwickelt sich die Regelarbeitszeit auf Vollerwerbsarbeitsplätzen, wie die Zahl der Teilzeitarbeitsplätze? –, zum anderen spielt die demographische Entwicklung einschließlich Zu- und Abwanderungsbewegungen eine Rolle.
Insgesamt ist jedoch eine fallende Tendenz bei den jährlichen Zuwächsen der realen Lohnsumme 42 festzustellen: Waren in den 1960er und in der ersten Hälfte der 1970er Jahre noch Steigerungsraten von im Durchschnitt sechs Prozent die Regel, fielen die Werte dann auf um die drei Prozent jährlich ab, um in den 1990er Jahren bei rund einem Prozent zu liegen. Zwischen 2003 und 2008 sank der Durchschnittswert auf gut ein halbes Prozent jährlich ab.
Gesamtwirtschaftliche Lohnzurückhaltung lässt sich am besten durch einen Vergleich der realen Stundenproduktivität und der realen Stundenlöhne im Durchschnitt der Volkswirtschaft messen. In Abbildung 7 ist die Entwicklung beider Größen über die vergangenen 50 Jahre in Deutschland dargestellt. Dabei wird die Stundenproduktivität anhand des realen Bruttoinlandsproduktsje geleistete Arbeitsstunde der Erwerbstätigen, also der abhängig Beschäftigten und der Selbständigen zusammengenommen, gemessen. Die jährliche Veränderungsrate dieser Größe ist in der Grafik als durchgezogene Linie abgebildet. 43
Der reale Stundenlohn wird berechnet aus den Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit je geleistete Arbeitsstunde der abhängig Beschäftigten, preisbereinigt mit dem Deflator des Bruttoinlandsprodukts. Diese Art der Preisbereinigung spiegelt die Unternehmerperspektive wider: Was real produziert wurde, zum Beispiel auch für den Export, zeigt das reale Bruttoinlandsprodukt an; welche Preissteigerungen mit dieser Produktion einhergingen, wird im Preisindex des Bruttoinlandsprodukts erfasst. Welche Steigerung der Stundenlöhne der Unternehmenssektor nicht durch Preissteigerungen seiner Produkte abdecken konnte, wie viel die Stundenlöhne also »real« aus Sicht der Unternehmer gestiegen sind, drückt sich daher am besten durch die gleiche Preisbereinigung aus wie bei der Produktivität: den Deflator des Bruttoinlandsprodukts. Die Veränderungsrate der realen Stundenlöhne ist in Abbildung 7 mit einer gestrichelten Linie dargestellt.
Will man reale Stundenlöhne aus Sicht der Arbeitnehmer berechnen, bietet sich als Deflator der Preisindex des privaten Konsums oder der Verbraucherpreisindex an. Denn für die Arbeitnehmer ist relevant, was sie für ihr nominales Arbeitseinkommen real an Gütern kaufen
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