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Irrweg Grundeinkommen

Irrweg Grundeinkommen

Titel: Irrweg Grundeinkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Meinhardt und Dieter Vesper Friederike Spiecker Heiner Flassbeck
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können. Das heißt, der für sie relevante Warenkorb, um dessen Preissteigerung es bei der Bereinigung geht, ist der des inländischen Verbrauchers, also ein anderer als der für die Produzenten. Zu gravierenden Abweichungen zwischen beiden Preisbereinigungsarten kommt es immer dann, wenn zum einen die Veränderungen der Import- und Exportpreise weit auseinander liegen (etwa die Preise für importierte Rohstoffe wie Öl explodieren, die für exportierte Waren wie etwa Investitionsgüter deutlich langsamer zulegen) und zum anderen die betrachtete Volkswirtschaft relativ offen ist, Handelsströme also eine große Bedeutung haben. Letzteres trifft auf die deutsche Wirtschaft zu. Und zu großenAbweichungen zwischen Import- und Exportpreisen ist es immer wieder gekommen, so in den 1970er Jahren während der Ölkrisen und auch in jüngster Zeit im Zusammenhang mit den spekulativen Preisentwicklungen auf den Rohstoffmärkten.
    Abbildung 7: Produktivität und Reallohn in Deutschland

    Quellen: Statistisches Bundesamt; DIW; AMECO Datenbank (Stand: Mai 2012), Werte für 2012: Prognose der EU-Kommission; eigene Berechnungen
    Im Folgenden wird beim realen Stundenlohn auf die Variante aus Unternehmersicht, also Preisbereinigung mit dem BIP-Deflator, abgestellt, da es um die Frage geht, ob Lohnzurückhaltung zu mehr Arbeitsplätzen führt. Arbeitsplätze werden von Arbeitgebern angeboten, also zählt deren Sicht. Sozialpolitisch ist der verbraucherpreisbereinigte Stundenlohn selbstverständlich die relevante Größe, denn vor allem für die unteren Einkommensschichten ist wichtig, ob sie Preissteigerungen bei den wichtigsten Konsumgütern wie Lebensmittel, Energie, Mieten und Verkehrsmittel über Lohnsteigerungen abgedeckt bekommen, und nicht, um wie viel teurer exportierte Güter geworden sind.
    Zunächst lässt Abbildung 7 erkennen, dass die Veränderungsraten von Stundenproduktivität und realem Stundenlohn einähnliches und tendenziell fallendes Niveau aufweisen, während ihr Verlauf mal stärker, mal schwächer voneinander abweicht. Es lassen sich – parallel zur Entwicklung der Lohnquote – grob sieben Phasen unterscheiden: In den 1960er Jahren pendeln bis zur Minirezession 1967 beide Veränderungsraten zwischen vier und sechs Prozent, wobei der Reallohn im Durchschnitt jährlich gut einen halben Prozentpunkt stärker wächst als die Produktivität (I. Phase). Das findet seinen Niederschlag in der oben beschriebenen Steigerung der Lohnquote in dieser Zeit.
    Nach der Minirezession erholt sich das Produktivitätswachstum zunächst zwei Jahre lang rascher als das Wachstum der realen Stundenlöhne, wird dann aber bis Mitte der 1970er Jahre von den Löhnen klar übertroffen: Die Reallohnzunahme liegt jährlich bei gut sechs Prozent, während die Produktivitätssteigerung im Schnitt nur fünf Prozent beträgt (gestrichelte Linie oberhalb der durchgezogenen; II. Phase). Die Lohnquote steigt noch schneller als zuvor.
    Von Mitte der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre stimmen beide Kurven wieder relativ eng überein (die Lohnquote stabilisiert sich) und fallen fast auf null ab (III. Phase). Es folgen zehn Jahre, in denen sich die Produktivität – mit Ausnahme des Jahres 1987 – stärker entwickelt als der Reallohn (IV. Phase): Die Lohnquote beginnt wieder zu fallen. Im Schnitt nahm die Produktivität in diesem Jahrzehnt jährlich gut einen halben Prozentpunkt mehr zu als die Reallöhne. Beide Veränderungsraten steigen wieder und erreichen Anfang der 1990er Jahre ein Niveau von etwas unter vier Prozent.
    Nach der deutschen Wiedervereinigung pendeln die beiden gesamtdeutschen Kurven ungefähr zehn Jahre lang um zwei Prozent, im Schnitt fällt das jährliche Wachstum der Stundenproduktivität aber knapp ein halbes Prozent höher aus als das der Reallöhne (V. Phase). Die Lohnquote sinkt weiter. Ab der Jahrtausendwende bis zur Finanzkrise im Jahr 2008 (VI. Phase) liegt die Produktivitätslinie klar über der des realen Stundenlohns. Vom konjunkturellen Tiefpunkt 2003 an gerechnet, legt sie bis 2008jährlich im Schnitt 1,5 Prozent zu. Die Reallohndynamik hingegen fällt drastisch ab, in den Jahren 2004, 2005 und 2007 fallen die Reallöhne zum ersten Mal in der deutschen Wirtschaftsgeschichte sogar absolut. Im Durchschnitt stagnieren sie zwischen 2003 und 2008. Die Lohnzurückhaltung war nie zuvor über einen so langen Zeitraum so groß. Parallel dazu fällt die Lohnquote auf eine Größenordnung wie in den 1960er Jahren zurück.

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