Irrweg Grundeinkommen
Industrieländern verbreitende Angst vor der Globalisierung geradezu grotesk wirken. Dennoch blieb sie nicht ohne Folgen. Die Arbeitnehmer gerieten überall noch mehr in die Defensive, und die Verteilung wurde in einem Maße »korrigiert«, das sich zehnJahre zuvor, also zu Beginn der konservativen Gegenrevolution, kaum jemand hatte vorstellen können.
Die Entwicklung der Arbeits- und Kapitaleinkommen in Deutschland
Lohn- und Arbeitslosenquote
Anhand des Anteils der Arbeitseinkommen der abhängig Beschäftigten an der gesamtwirtschaftlichen Produktion lässt sich die wechselvolle Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland nachvollziehen (vgl. Abbildung 4). Die 1960er Jahre waren von einem kräftigen und die erste Hälfte der 1970er von einem noch steileren Anstieg der Quote der Beschäftigteneinkommen am Gesamteinkommen in Westdeutschland geprägt: Die Lohnquote 38 stieg innerhalb von 15 Jahren von 45 Prozent auf gut 55 Prozent. Dann legte sie bis Anfang der 1980er Jahre noch leicht auf 56 Prozent zu. Danach fiel sie in zwei Schüben bis zur deutschen Wiedervereinigung auf 53 Prozent zurück. Ihr gesamtdeutscher Wert startete 1991 mit 56 Prozent – Ausdruck der Wirtschaftssituation in den neuen Bundesländern, die damals praktisch keine Unternehmerstruktur hatten. Doch sank der Wert von da an Schritt für Schritt bis Ende der 1990er Jahre, um sich im Aufschwung 2000/2001 kurz zu erholen und dann erneut und kräftig abzusacken. 2007, also mitten im Aufschwung, erreichte sie mit knapp 49 Prozent einen Tiefpunkt. Bis 2011 hat sich die Quote, allerdings vorwiegend bedingt durch die tiefe Rezession im Jahr 2009, wieder auf 51 Prozent erhöht.
Seit Ende der 1970er Jahre vertritt der Mainstream der Wirtschaftswissenschaften – seit den 1990er Jahren gefolgt von den meisten Wirtschaftspolitikern – die Auffassung, dass hohe Unternehmensgewinne wachstumsfördernd und damit gut für den Aufbau von Arbeitsplätzen seien. Nun spiegelt sich in der Quote der Arbeitseinkommen am gesamten Einkommen einer Volkswirtschaft noch keineswegs eins zu eins die Situation der Unternehmen,der Beschäftigten oder gar der Arbeitslosen wider. Doch zeigt bereits ein erster Vergleich der Entwicklung der Lohnquote mit den Wachstumsraten der deutschen Volkswirtschaft, dass es keinen simplen Zusammenhang gibt nach dem Motto »Lohnquote runter – Wachstum rauf – Beschäftigung rauf«. Denn die beschriebenen Phasen einer zuerst stark steigenden, dann fast stagnierenden und schließlich vor und nach der Wiedervereinigung fallenden Arbeitseinkommensquote sind von jahresdurchschnittlichen Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts begleitet, die in glattem Widerspruch zu einer solchen vermuteten Logik stehen: In der ersten Phase von 1960 bis 1975 wächst die westdeutsche Wirtschaft kräftig um im Schnitt real 3,8 Prozent pro Jahr, bis 1981 dann nur noch um durchschnittlich 2,9 Prozent, anschließend bis zur deutschen Wiedervereinigung in ähnlicher Größenordnung um durchschnittlich 2,8 Prozent und seither mit mageren 1,5 Prozent.
Abbildung 4: Verteilungssituation in Deutschland – die unbereinigte Lohnquote
Quelle: AMECO Datenbank (Stand: Mai 2012), Werte für 2012: Prognose der EU-Kommission
Zugleich nimmt die Arbeitslosenquote (vgl. Abbildung 5) immer wieder sprunghaft zu, nämlich in den Rezessionsjahren 1967,1975, 1982/83, 1992/93, 1996, 2002–2004 und zuletzt 2008/ 2009. Ihr Abbau gelingt nur vergleichsweise zögerlich. Lediglich 1967 und in jüngster Zeit wurde ein Stand der Arbeitslosenquote wie vor der vorausgehenden Rezession erreicht. 39
Abbildung 5: Arbeitslosigkeit in Deutschland
Quellen: Statistisches Bundesamt; AMECO Datenbank (Stand: Mai 2012), Werte für 2012: Prognose der EU-Kommission
Die Konjunktur ist für die Entstehung von Arbeitslosigkeit offenbar von entscheidender Bedeutung. Wie sonst könnte die Arbeitslosenquote immer genau dann in die Höhe schnellen, wenn ein konjunktureller Einbruch stattfindet? Insofern besagen Lohnquoten einerseits und Durchschnitte von Wachstumsraten über mehrere Jahre hinweg andererseits noch nicht viel, bilden sie doch den konjunkturellen Verlauf nicht ab. Die Lohnsumme mag wachsen, ohne dass die Lohnquote steigt und umgekehrt. Denn rein rechnerisch kann das Wachstum der Volkswirtschaft insgesamt das der Lohnsumme überholen, mit ihm Schritt halten oder es unterschreiten. Interessant ist die Frage, ob sich die beiden Größen gegenseitig kausal bedingen und, wenn ja, wie.
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