Irrwege
hoffnungslos.
Hoffnungslos. Du hattest recht«, sagte er bitter zu Marit. »Ich bin ein Narr!«
Sie hätte ihm antworten können: Der Baum hat ihn
gerettet. Du hast es nicht gesehen, aber ich. Ich sah, wie die Äste nach ihm
griffen. Irgendeine Macht ist auf unserer Seite, versucht uns zu helfen. Es
gibt Hoffnung. Wenn wir sonst nichts mitgebracht haben, aber Hoffnung.
Wenigstens Hoffnung.
Aber das sagte sie nicht. War Hoffnung das, was
sie wollte?
»Sieht aus, als müßten wir ihn herunterpflücken«,
grollte Hugh Mordhand.
»Wozu?« fragte Haplo deprimiert. »Ich habe ihn
in den sicheren Tod geführt. Ich habe uns alle in den sicheren Tod geführt.
Außer dir. Und dich erwartet vielleicht ein noch viel schlimmeres Schicksal.
Du mußt immer weiterleben…«
Marit stand neben ihm. Impulsiv streckte sie die
Hand aus, um ihn zu trösten, erst dann holte der Verstand sie ein. Sie hielt
inne, verwirrt. Irgendwie schien es, als bestünde sie aus zwei verschiedenen
Personen – eine, die Haplo haßte; eine andere, die ihn – nicht haßte.
Und sie traute keiner von beiden.
Wo stehe ich in dem Spiel? fragte sie
sich aufgebracht. Was will ich!
Das ist unwichtig, Frau. Sie hörte Xars Stimme.
Was du willst, ist nicht von Bedeutung. Deine Aufgabe ist, mir
Haplo zu bringen.
Und das werde ich tun, beschloß sie. Ich! Nicht
Sangdrax.
Zaghaft berührte Marit mit den Fingerspitzen
Haplos Arm, er wandte verblüfft den Kopf.
»Was der Mensch gesagt hat, stimmt«, erklärte
sie. Ihr Hals war merkwürdig trocken. Sie mußte sich räuspern. »Siehst du das
nicht? Das Labyrinth handelt aus Furcht. Und das macht uns zu ebenbürtigen
Gegnern.« Sie dämpfte die Stimme. »Ich habe über mein Kind nachgedacht, meine
Tochter. Manchmal nachts. Wenn ich ganz alleine bin. Ich frage mich, ob sie
auch allein ist, einsam. Ob sie je an mich denkt, wie ich an sie. Ob sie
überlegt, weshalb ich sie verlassen habe… Ich möchte sie finden, Haplo. Ich
möchte ihr erklären…«
Tränen stiegen ihr in die Augen. Das war nicht
geplant gewesen. Rasch senkte sie die Lider, damit er es nicht bemerkte.
Doch zu spät. Und dann, weil sie ihn nicht
ansah, konnte sie nicht schnell genug ausweichen, als er den Arm um sie legte.
»Wir werden sie finden«, sagte er leise. »Ich
verspreche es.«
Marit blickte zu ihm auf. Gleich würde er sie
küssen.
Xars Stimme raunte in ihrem Kopf. Du hast mit
ihm geschlafen. Du hast sein Kind geboren. Er Hebt dich immer noch. Die
Situation war perfekt. Genau, was Xar wollte. Sie brachte Haplo dazu, sich in
ihrer Gegenwart sicher zu fühlen, wartete einen günstigen Moment ab,
überwältigte ihn, lieferte ihn Xar aus und brachte Sangdrax um seinen Triumph.
Sie machte die Augen zu. Haplos Lippen streiften
die ihren.
Marit fröstelte am ganzen Leib und riß sich los.
»Du solltest deinen Sartanfreund von dem Baum
herunterholen.« Ihre Stimme war so scharf wie das Messer in ihrer Hand. »Ich
halte Wache. Hier, das wirst du brauchen.«
Marit gab ihm das Messer und ging. Der Aufruhr,
der in ihr tobte, war so groß, daß sie zitterte und schon fürchtete, wie dieser
– Alfred in Ohnmacht zu fallen. Haplo. Sie haßte ihn, haßte sich selbst.
Auf dem Hügel angekommen, lehnte sie sich gegen
einen übermannshohen Felsklotz und wartete, daß das Zittern aufhörte. Sie zwang
sich, langsam und sorgfältig die Umgebung nach Zeichen für die Annäherung von
Feinden abzusuchen. Erst nach ein paar Minuten warf sie einen kurzen Blick über
die Schulter, um zu sehen, was Haplo tat. Er war ihr nicht gefolgt. Umtanzt von
dem Hund, der das alles herrlich aufregend fand, ging er zu dem Baum, um Alfred
zu befreien.
Gut. Marit nickte verbissen. Die Schwäche war
überwunden, sie fühlte sich wieder vollkommen ruhig. Ruhig genug, um mit Xar
zu sprechen.
Doch es kam nicht dazu.
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Kapitel 35
Im Labyrinth
Alfred baumelte hilflos in der Krone des Baums,
ein starker Ast stak im Rücken seines Samtrocks wie ein zweites und – in
Alfreds Fall – stabileres Rückgrat. Der Sartan bewegte ängstlich Arme und
Beine; er hatte keine Möglichkeit, sich selbst aus seiner mißlichen Lage zu
befreien.
Der Hund lief unten hin und her, das Maul zu
einem hechelnden Grinsen verzogen, als hätte er eine Katze den Baum
hinaufgejagt. Haplo hatte den Kopf in den Nacken gelegt und schaute zu Alfred
hinauf.
»Wie zum Teufel hast du das hingekriegt?«
Alfred breitete vorsichtig die Hände aus.
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