Irrwege
er hätte
ohne Hilfe gehen können, doch weshalb das Angebot ablehnen? Den Arm um Marits
Schulter gelegt, humpelte er neben ihr her.
»Danke«, sagte er leise. »Dafür und…«
Sie schnitt ihm das Wort ab. »Wir sind jetzt
quitt. Dein Leben für das meine.«
Ihre Stimme klang schroff, doch ihre Berührung
war sanft. Er versuchte, ihr in die Augen zu sehen, aber sie hielt ihr Gesicht
abgewendet. Der Hund, wieder zu normaler Größe geschrumpft, umtanzte sie beide
vergnügt.
Als er nach vorn schaute, sah Haplo Alfred wie
einen grotesken Vogel auf einem Bein stehen, wie er ihnen entgegenblickte und
ängstlich die Hände rang. Die Patryn hatten Hugh Mordhand auf den Boden
gelegt. Er hatte das Bewußtsein wiedererlangt, versuchte sich aufzusetzen und
wehrte sowohl ihren Beistand als auch ihre verwunderten und neugierigen Fragen
ab.
»Wir hätten es leicht geschafft«, sagte Marit
plötzlich, »wenn du nicht stehengeblieben wärst, um dem Nichtigen zu helfen.
Es war dumm. Du hättest ihn seinem Schicksal überlassen sollen.«
»Die Tigermänner hätten ihn getötet.«
»Aber du behauptest doch, er kann nicht
sterben!«
»Er kann sterben«, erklärte Haplo, setzte
versehentlich das verletzte Bein auf und zuckte zusammen. »Er kehrt ins Leben
zurück und die Erinnerung ebenfalls. Die Erinnerung ist schlimmer als das
Sterben.« Nach einer Weile fügte er hinzu: »Wir sind uns in mancher Hinsicht
ähnlich – er und ich.«
Sie schwieg gedankenvoll, während er sich
fragte, ob sie verstanden hatte, was er meinte. Kurz bevor sie den Waldrand
erreichten, blieb sie stehen und sah ihn schräg an.
»Der Haplo, den ich kannte, hätte ihn sterben
lassen.«
Nanu? Ihr Tonfall verriet nicht, wie das gemeint
war. Als verstecktes Kompliment?
Oder als Vorwurf?
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Kapitel 36
Im Labyrinth
Die Tigermänner brachen in enttäuschtes Geheul
aus, als die Patryn im Wald verschwanden.
»Wenn du und deine Freunde in der Lage sind,
ohne Heilung noch ein Stück weiterzugehen«, sagte die Frau zu Haplo, »könnten
wir einen Ort erreichen, wo es sicherer ist. Es wäre nicht das erstemal, daß
Tigermänner eine Beute auch in den Wald verfolgen, und ein so großes Rudel
wird nicht leicht aufgeben.«
Haplo blickte sich um. Hugh Mordhand war bleich,
er hatte Blut am Kopf, doch er stand aufrecht. Auch wenn er die Worte der Frau
nicht verstand, er mußte ihre Bedeutung erraten haben. Als er Haplos fragenden
Blick auffing, nickte der Assassine grimmig.
»Ich schaffe es.«
Haplo schaute zu Alfred. Der Sartan war so gut
zu Fuß wie je, das hieß, er stolperte vor Haplos Augen über eine Baumwurzel.
Nachdem er das Gleichgewicht wiedergefunden hatte, bemerkte er, daß Haplo ihn
ansah, und lächelte entschuldigend. Wie Hugh Mordhand bediente er sich der
Menschensprache.
»Ich habe mir das Durcheinander zunutze gemacht.
Als sie hinausliefen, um euch zu helfen, da – nun ja… Die Vorstellung, wieder
auf dem Hund… Ich dachte, es wäre einfacher…«
»Du hast dich selbst geheilt«, schloß Haplo.
Er hielt es ebenfalls für geraten, die
Unterhaltung in der Menschensprache zu führen. Die Patryn beobachteten die
Fremden. Sie hatten die Möglichkeit, von ihrer Magie Gebrauch zu machen, um die
Nichtigendialekte zu verstehen, aber sie taten es nicht, wahrscheinlich aus
Höflichkeit. Doch sie bedurften keiner Magie, um Sartan zu verstehen – eine auf
den Runen basierende Sprache. Es war die Sprache ihrer Erzfeinde – sie würden
sie sofort erkennen.
»Ja, ich habe mich selbst geheilt«, bestätigte
Alfred. »Ich hielt es für das beste. Es spart Zeit. Und Unannehmlichkeiten…«
»Und unbequeme Fragen«, fügte Haplo leise hinzu.
Alfreds Blick huschte zu den Patryn, er wurde
rot. »Das auch.«
Haplo seufzte und fragte sich, wieso er nicht
früher daran gedacht hatte. Wenn die Patryn herausfanden, daß Alfred ein Sartan
war – ihr Jahrhunderte alter Feind; ein Feind, den zu hassen man sie von
Kindesbeinen an lehrte –, schwebte er in höchster Gefahr. Man konnte nur
versuchen, weiter so zu tun, als wäre Alfred ein Mensch wie Hugh Mordhand. Das
war schon schwierig genug zu erklären – die meisten Patryn im Labyrinth hatten
nie von den sogenannten ›minderen‹ Rassen gehört. Doch alle wußten von den
Sartan.
Alfred sah Marit an.
»Ich werde dich nicht verraten«, meinte sie
geringschätzig. »Wenigstens nicht jetzt. Sie könnten ihren Zorn an uns
auslassen.«
Mit einem
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