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Irrwege

Titel: Irrwege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Weis , Tracy Hickman
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damit rechnete, angegriffen zu werden. Nein, die Höhle war unbewohnt,
gehörte ihr.
    Um so größer die Überraschung, in ›ihrer‹ Höhle
einen Mann vorzufinden, der sich bereits häuslich eingerichtet hatte.
    Zuerst konnte sie nichts sehen. Ihre Augen waren
geblendet vom Flirren des Sonnenlichts auf der Wasseroberfläche. Im Inneren
der Höhle war es dunkel, und der Mann verhielt sich vollkommen still. Aber
seine Witterung verriet ihn, und im nächsten Moment hörte sie auch seine Stimme.
    »Bleib da stehen, wo es hell ist«, sagte er,
sehr ruhig und gelassen.
    Natürlich war er ruhig und gelassen. Er hatte
sie kommen sehen. Er hatte Zeit gehabt, sich vorzubereiten. Sie verfluchte
sich selbst, ihn aber noch mehr.
    »Zum Teufel mit dir!« Sie machte einen Satz in
die Richtung der Stimme, dabei blinzelte sie heftig, um endlich etwas sehen zu
können. »Raus hier! Raus aus meiner Höhle!«
    Sie forderte den Tod heraus und war sich dessen
bewußt. Vielleicht wollte sie es so. Er hatte sie aus einem bestimmten Grund
aufgefordert, im Licht stehenzubleiben. Das Labyrinth verhöhnte seine
Gefangenen oft mit Abbildern ihrer selbst – Boggleboes nannte man diese
Doppelgänger. Sie ähnelten Patryn bis in jede Kleinigkeit, außer daß die Runen
auf ihrer Haut alle spiegelverkehrt waren, als betrachtete man seine eigene Reflektion
in einem Teich.
    Augenblicklich schnellte er vom Boden hoch. Sie
konnte ihn jetzt sehen und war gegen ihren Willen beeindruckt von der
Leichtigkeit und geschmeidigen Anmut seiner Bewegungen. Er hätte sie töten
können – sie war bewaffnet und drohte ihm –, doch er tat es nicht.
    »Verschwinde!« Sie stampfte auf und deutete mit
dem Messer zum Ausgang.
    »Nein«, sagte er und setzte sich wieder hin.
    Offenbar hatte sie ihn bei irgendeiner Tätigkeit
unterbrochen, denn er nahm etwas vom Boden auf und begann damit zu hantieren.
    »Aber ich will sterben«, schleuderte sie ihm
entgegen, »und du störst!«
    Er blickte kurz auf und nickte. »Was dir fehlt,
ist etwas zu essen. Du hast wahrscheinlich den ganzen Tag nichts gehabt, oder?
Nimm dir, was du möchtest. Da sind frischer Fisch und Beeren.«
    Sie schüttelte trotzig den Kopf und blieb
stehen, wo sie war.
    »Wie du willst.« Er zuckte mit den Schultern.
»Du hast versucht, die Felswand zu ersteigen?« Er mußte die Schürfwunden an
ihren Händen gesehen haben. »Ich auch«, fuhr er fort, ohne daß sie ihn ermutigt
hätte. »Eine ganze Woche. Gerade als ich dich kommen hörte, saß ich hier und
dachte, daß zwei es mit einem Seil schaffen könnten.«
    Er hielt hoch, was er in den Händen hatte. Damit
war er also beschäftigt, ein Seil zu flechten.
    Marit sank in die Hocke, griff nach dem Fisch
und begann hungrig zu essen.
    »Wie viele Tore?« fragte er, über seine Arbeit
gebeugt.
    »Achtzehn.« Sie beobachtete seine flinken Hände.
    Er hob den Kopf und musterte sie stirnrunzelnd.
    »Weshalb siehst du mich so an? Es stimmt«,
verteidigte sie sich.
    »Ich bin nur überrascht, daß es dir gelungen
ist, so lange am Leben zu bleiben«, meinte er. »Wenn man bedenkt, wie
unvorsichtig du bist. Ich habe dich den ganzen Weg am Ufer kommen hören.«
     
    »Ich war müde«, antwortete sie gereizt. »Und es
war mir egal. Du kannst nicht viel älter sein als ich, also führ dich nicht auf
wie ein Obmann.« 18
     
    »Gefährlich«, sagte er ruhig. Alles, was er tat,
tat er ruhig. Seine Stimme war ruhig, seine Bewegungen waren ruhig.
    »Was?«
    »Wenn einem alles egal ist.«
    »Was du getan hast, war noch viel gefährlicher«,
entgegnete sie. »Mich nicht töten. Du konntest nicht wissen, daß ich kein
Boggleboe war, nach dem einen flüchtigen Blick.«
    »Hast du je mit einem Boggleboe zu tun gehabt?«
fragte er.
    »Nein«, gab sie zu.
    Er lächelte, ein ruhiges Lächeln. »Ein Boggleboe
würde nicht einfach so hereingestürmt kommen und mich anschreien, ich soll aus
seiner Höhle verschwinden.«
    Sie konnte nicht anders, sie mußte lachen. Ihre
Lebensgeister waren neu erwacht; vielleicht hatte ihr doch nur etwas zu essen
gefehlt.
    »Du bist eine Läuferin«, sagte er.
    »Ja. Ich habe mein Lager verlassen, als ich
zwölf war. Damit will ich sagen, daß du heute wirklich einen falschen Eindruck
von mir bekommen hast.« Sie errötete leicht. »Ich war nicht ganz ich selbst. Du
weißt, wie es manchmal ist.«
    Er nickte, ohne von seiner Arbeit aufzuschauen.
Seine Hände waren kräftig und geschickt. Sie rückte

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