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Irsud

Irsud

Titel: Irsud Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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abschritt. Nach einigen weiteren Minuten des Unbehagens und der Langeweile stieß Aleytys die Daumen in die Armlöcher und versuchte, den Druck, den Nayid-Schneider, die nicht wußten, wie man Kleidung für Säuger zuschnitt, ihren Brüsten auferlegt hatten, zu mildern. Sie blickte an der Reihe der ausdruckslosen Sabutim-Gesichter entlang.
    Nahe dem östlichen Rand der flachen Hügelkrone, in Schicht um Schicht von dickem Goldtuch gehüllt, bis er ein abgeflachtes, ungeheuer vergrößertes Samenkorn war, das auf einem flachen Goldteller ruhte, lag der Körper der alten Königin feierlich auf den mit Flaggen dekorierten, kreuz und quer liegenden Scheiten aufgebahrt. Zu ihren Füßen saß Lisshan, mit blaugefärbten Stricken umwickelt, die Knoten mit Goldfarbe hervorgehoben; mit getrübten, nicht sehenden Augen starrte er vor sich hin, in einer feinen Euphorie versunken: Er trieb auf den Flügeln einer Droge. Unterhalb von ihm waren Hiiri rings um den Sockel des Scheiterhaufens herum plaziert; gefesselt, mit ihren eigenen kleinen Halbinseln von kreuz und quer geschichteten Scheiten, diese mit weniger als dem halben Durchmesser der massiven Stämme im Haupthaufen. Aber natürlich zählten sie nicht … Einmal Sklaven, in Ewigkeit Sklaven.
    Und der Gesang ging weiter.
    Und die Priesterin schritt vor dem Scheiterhaufen auf und ab, in Wolken aus schwerem Räucherwerk gehüllt.
    Voller Übelkeit bis hin zum Ekel blickte Aleytys auf die Wächterinnen zu ihren beiden Seiten. Sie sahen ohne ein Zittern in ihrer starren Konzentration auf das Ritual nach vorn. Ganz plötzlich lehnte sie sich auf. Vorsichtig trat sie zurück, schob sich hinter die Wachen zum Rand der Klippe, wo sich die Luft irgendwie ein wenig reiner anfühlte. Während sie am Klippenrand stand und der endlosen Zeremonie den Rücken zukehrte, blickte sie über das träumende, unschuldige Land hinaus.
    Es breitete sich in schweigendem Flickwerk aus, unterbrochen von verstreuten Felstürmen; andere Hügel, die sich in zerklüftete Erhabenheit über die Felder erhoben. Neben diesen Hügeln waren dunkle Flecken: Häuser drängten sich in befestigten Städten, die am Fuß des steilen Felsens klebten. Hier und da, auf hellen, geraden Linien, flitzten Fahrzeuge wie kleine, schwarze Insekten in nervösen Zuckungen dahin und stießen Wolken von Dampf hinter sich aus. Der Fluß schlängelte sich in langen, trägen Kehren aus dem Blau im Osten heraus, glitzerte sanft im Licht der untergehenden Sonne. Dort entlang, dachte sie, dem Fluß folgend, in diesen blauen Dunst, wo sich der trübe blaue Himmel senkt; dort ist die Sternenstadt. Dorthin muß ich gehen.
    Der Fluß kam zu ihnen und teilte sich: Ein Arm legte sich um eine Seite des Hügelsockels, der andere schwenkte in einem weiten, trägen Bogen aus, der die Stadt umschloß und sie von den Farmgebieten trennte. Aber ich verdrehe es, dachte sie. Komisch. Die Strömung läuft andersherum, von mir weg, nach Osten. Wieso dachte ich, sie käme auf mich zu?
    Hundert Meter tiefer konnte sie den kleinen, grünen Fleck ihres Gartens sehen, der in der ungeheuren, grauen Masse des Mahazh und seiner Anbauten eingeschlossen war, eine mauerumgürtete Festung in einer mauerumgürteten Stadt, glatt und steril bis auf dieses grüne Klümpchen, wie ein verkapselter Tumor. Sie musterte die Stadt außerhalb der Mauern ihres Gefängnisses. Auf der westlichen Seite gab es mehr Grün – vereinzelte Bäume und Sträucher umgaben ummauerte Häuser, die wie graue Bienenstöcke aussahen; die Straßen dazwischen: still und leer.
    So verführerisch waren der Frieden und die Ruhe dort unten, daß sie fast das schlaftrunkene Summen der Zikade hören und die warme, liebliche Brise, die ihr Haar aufplusterte, fühlen konnte.
    Auf der Ostseite drängten sich die Bienenstock-Häuser in einer Art fröhlichen Ellenbogen-in-den-Rippen-Durcheinanders an gewundenen Straßen, deren schmale Pflasterstreifen beinahe unter in strahlenden, nicht harmonisierenden Farben wie von gefärbtem Glas gestreiften Markisen verschwanden. Die Straßen waren bevölkert und belebt, allerdings erhaschte sie nur kurze Blicke auf winzige Nayid-Gestalten, die von einem Laden zum anderen hasteten. Dort, wo die Stadt auf den Fluß traf, weiteten sich die Mauern zu niedrigen, klotzigen Lagerhäusern mit Piers, die sich ein kurzes Stück in den Fluß erstreckten. Drei Schiffe waren dort festgemacht, ihre Längsseiten parallel zum Ufer, die meisten ihrer Kräne untätig, einer oder

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