Is Nebensaison, da wird nicht mehr geputzt: Urlaub in der Hölle
die eiskaltes Quellwasser fließt. Danach lege ich die mitgebrachten Getränke ins Wasser – ein idealer natürlicher Kühlschrank. Auch meine nächsten Arbeitsgänge erledige ich wie im Schlaf: Holz in den Küchenofen packen und mit kleinen Spänen für ein ordentliches Feuer sorgen, einen Topf Wasser auf die große Ofenplatte wuchten, frische Blumen auf der Alm pflücken und in ein Glas auf den Küchentisch und unters Kreuz an der Stirnwand der Hütte stellen. Danach Bettdecken zum Lüften auf das niedrige Schindeldach in die Sonne legen und den Rucksack auspacken. Schließlich mindestens dreißig Minuten den Großvenediger anschauen. Auf der anderen Talseite glänzen seine schneeweißen Gletscher in der Nachmittagssonne.
Am nächsten Morgen schaue ich zum wiederholten Mal zum Großvenediger, diesmal mit Fernglas. Was macht das Wetter am Berg? Es sieht alles bestens aus, und nichts hält mich mehr.
Die ersten Wanderer kommen vorbei, fast immer mit Stöcken. Wanderer sehen sehr selten glücklich aus, vor allem, wenn es Mann und Frau sind. Woran das liegt? Ganz klar: Wandern ist ja kein Spaß, sondern harte Arbeit, und bei harter Arbeit lacht man nicht und grüßt auch nur zur Not. Und warum wirkt speziell die Kombination Mann und Frau so freudlos? Auch klar: weil immer einer von beiden lieber einen Strandurlaub gemacht hätte und diese Bergtour nur aus Liebe zum Partner mitmacht. Laut und fröhlich sage ich wenigstens «Grüß Gott». Irgendeiner muss ja Vorbild sein.
Am späten Vormittag schaue ich in einer Hütte im nächsten Seitental vorbei. Sie liegt an einem herrlichen, leider viel zu kalten Bergsee. Hier herrscht der Wirt Alois, den ich seit Kindertagen kenne. Alois hat einen mächtigen Schädel und mittlerweile auch einen mächtigen Bauch und nicht mehr alle Finger an den Händen. Beim Holzsägen hat er ein paarmal nicht gut aufgepasst. Viele Hütten, die Wanderer verpflegen und Schlafplätze bieten, verfügen über eine Lastenseilbahn oder einen Fahrweg, Alois muss ohne all das auskommen. Nur ein schmaler Steig, der Wanderern schon alles abverlangt, führt zu seinem Arbeitsplatz in den Bergen. Früher hat er ein vollgepacktes Maultier über den Steig getrieben, aber als das für Tier und Mensch zu mühsam wurde, sattelte er auf eine Crossmaschine um. An der hat er alles abmontiert, was zum Fahren nicht unbedingt nötig ist, stattdessen vorne und hinten Gepäckträger angeschweißt. Die werden unten im Tal beladen, mit dem, was er täglich an Verpflegung für seine Gäste braucht. Hat er alles verstaut und festgezurrt, rast er durchs Dorf zu seiner Bergpiste. Von weit her hört man das Röhren seiner Maschine, die er mit schlafwandlerischer Sicherheit über Stock und Stein treibt.
Alois redet nicht, wenn es nichts zu reden gibt. Aber wenn es was gibt, dann redet er schon. Und zwar genau das, was er denkt. Das kann unangenehm sein. Jetzt humpelt er mir schwerfällig entgegen, als ich seine Terrasse am See betrete, und raunzt ein «Grüß dich» in meine Richtung. Das hatte auch schon mal besser geklungen.
«Warum gehst du so komisch?», frage ich.
«Dämliche Frage!»
«Jetzt sag, was ist passiert?» Ich merke, so richtig lustig findet er sein Humpeln nicht. Und dann sprudelt es richtiggehend aus ihm heraus:
«Ich war mit meinen beiden Jungs in Erding. Das liegt bei München, und da gibt es ein großes Spaßbad.»
«Und du bist von einer Rutsche gefallen, oder was?», hake ich nach.
«Bist du deppert? Ich steig mit meinen Burschen die Treppen zu den Röhren hoch, die Becken können wir nicht sehen. Oben gibt es Ampeln wie an einer Straßenkreuzung. Wenn die auf Grün springen, darf man lossausen. Die Ampel für meine große Rutsche springt auf Grün. Ich setz mich in meine Röhre, ab geht’s. Schließlich flieg ich aus dem Tunnel ins Becken, doch da ist kein Wasser drin.»
Das glaube ich nicht. Dieser Bergklotz fährt seit Jahr und Tag mit seiner Crossmaschine über Alpenkämme, ohne sich den Hals zu brechen, kommt dann aber auf einer Wasserrutsche fast zu Tode? «Du nimmst mich auf den Arm, mein Lieber», sag ich.
«Das hab ich oft genug getan, aber du kannst mir glauben, ich hab zehn Kilo Eisen im Bein, und für schlechte Scherze tun mir die Knochen zu weh.»
Wir trinken einen gelben Enzian zusammen. Der schmeckt scheußlich, ist aber wahrscheinlich gut für die Heilung der Knochen.
Früher gehörten die Tiroler Berge dem Rheinland und dem Ruhrgebiet. Das kann man noch an den Namen der
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