Is Nebensaison, da wird nicht mehr geputzt: Urlaub in der Hölle
Hüftknochen werfe ich sofort einen Blick aus dem Fenster und auf das Thermometer am Rahmen. Und da muss ich nicht Jörg Kachelmann heißen – will ich auch nicht –, um feststellen zu können: dicke Suppe, strammer Nordwind, nasse Schneeschauer und erbärmliche drei Grad unter null. Wenn das Matratzenlager das mitbekommt, gibt’s Krieg zwischen Polen und Holländern und Deutschen. Denn nichts macht Gipfelstürmer so fertig wie eine falsche Wetterprognose. Das wird Simon mir büßen müssen, denke ich.
Um nicht zwischen die Fronten zu geraten, packe ich meinen Rucksack, zahle meine Rechnung beim Wirt und stapfe hinaus in Nebel und Schnee. Ein Schlechtwettertag im Sommer auf einer Berghütte im Schnee, auf der sich frustrierte Bergsteiger stapeln, kann einfach kein guter Tag werden. Zumal noch mit Gipfelstürmer-Nachschub zu rechnen ist. Ich steige den Weg hinunter, den ich gestern früh hochgekommen bin.
Je tiefer ich gelange, umso mehr verwandelt sich der Schnee in Regen mit Flockeneinlage, und aus meinen Schuhen werden klatschnasse Klumpen. Ich sehe nichts, ich rieche nichts, ich höre nichts. Es war keine gute Idee gewesen, auf den Großvenediger zu wollen. Ich hätte ihn mir so schön von meiner Hütte aus anschauen können. Ich weiß doch, wie es da oben aussieht, ich war oft genug auf dem Gipfel. Ich sinniere vor mich hin, vergesse den Weg und meine Umgebung.
Warum wollen heutzutage so viele Menschen auf Berge steigen? Ich weiß natürlich: Das liegt an den fehlenden Abenteuern und sportlichen Herausforderungen in unserem modernen Alltag. Aber ist es das allein? Meine Frau zum Beispiel muss in ihrem Alltag auch nicht ständig große Abenteuer bestehen, wenn man vom Zusammenleben mit mir mal absieht. Aber sie hat trotzdem nie den Wunsch gehabt, auf Berge zu steigen. Ganz im Gegenteil. Sie kommt aus Norddeutschland, und für sie beginnt ein Berg beim Maulwurfshügel. Sie wandert gern, aber jeder Weg muss vorher mit der Wasserwaage auf seine Ebenheit überprüft worden sein. Wenn wir also wandern gehen, laufe ich die Nacht zuvor mit Höhenmesser und Wasserwaage die geplante Strecke ab und baue die Route so zusammen, dass keinerlei Höhendifferenzen zu bewältigen sind. Und wenn ich dann im Dunkeln doch mal eine kleine Geländeerhöhung übersehen habe, also zum Beispiel einen Maulwurfshügel, dann stoppt sie dort am nächsten Tag. Tränen treten in ihre Augen, und sie sagt: «Du hast mir versprochen, dass es keine großen Anstiege gibt. Immer wieder falle ich auf deine Routenvorschläge rein.»
Gegen Mittag bin ich wieder da, wo ich hingehöre. Ich koche mir einen Topf Nudeln und liege am späten Nachmittag im Bett. Zwischendurch stehe ich auf, um den Ofen in Gang zu halten. Irgendwann geht er aus, und ich schlafe bis zum nächsten Morgen. Da sehe ich ihn dann wieder, frisch verschneit und mit einer dicken Nebelschicht um seinen Fuß: den Großvenediger.
Zwei Tage bleibe ich noch, besuche Alois und trinke mit ihm zur weiteren Heilung erneut einen Enzian. Ins Tal will ich auch noch. In den Spar-Laden. Simon sitzt selbstverständlich an der Kasse, ziemlich vorwurfsvoll sage ich:
«Das war nichts mit dem Wetter.»
Er sagt: «Du warst einen Tag zu früh oder zu spät, halt Pech gehabt.»
Nun will ich noch zu Paula. Wieder hat sie ihre Hände vorm Bauch. Zum Abschied steckt sie mir eine Tafel Schokolade zu, für die lange Fahrt. «Vergelt’s Gott» und «Pfiati» ruft sie hinter mir her, und ich sage: «Tschüss.»
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Eine viel zu lange Reise
Tod auf Bali
W ir zitterten um die Wette und standen doch ganz nah am Äquator. Wir, das waren zehn Reiselustige aus Deutschland und Österreich, die mit mir als Reiseleiter Indonesien erkunden wollten. Meine Gruppe brannte nicht nur darauf, die berühmte Götterinsel Bali zu besuchen, sie wollte den ganzen indonesischen Archipel entdecken. Nicht umsonst hatten sie die große Indonesien-Rundreise mit dem geplanten Besuch von acht Inseln gebucht: Sumatra, Nias, Java, Bali, Lombok, Celebes, Kalimantan und Irian Jaya. Das in dreiundzwanzig Tagen und mit insgesamt sechzehn Inlandflügen. Das überstand man nur, wenn Kulturhunger und Abenteuerlust die Triebfedern waren. Sumatra und Nias hatten wir bereits heimgesucht, jetzt befanden wir uns auf unserer nächsten Station Java. Und trotz unserer vielen Besichtigungsstationen war bislang alles vollkommen reibungslos abgelaufen. Wir lagen also perfekt im Zeitplan.
Es war stockdunkel, es regnete, und
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