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Is Nebensaison, da wird nicht mehr geputzt: Urlaub in der Hölle

Is Nebensaison, da wird nicht mehr geputzt: Urlaub in der Hölle

Titel: Is Nebensaison, da wird nicht mehr geputzt: Urlaub in der Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikka Bender
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der Sahara nach Venedig, das kennt Paula, und das findet sie auch schön, aber: «Da gibt es auch kein Grün.»
    Lange bin ich bei Paula geblieben, das merke ich erst, als ich nach draußen trete und sehe, dass es schon dämmert. Im Dunkeln komme ich in meiner Hütte an. Ich fühle mich in jeder Hinsicht gestärkt, deshalb entscheide ich, morgen den Großvenediger in Angriff zu nehmen. Das Wetter wird schon passen, hat Simon gesagt, und ich möchte den atemberaubenden Rundblick vom Gipfel genießen. Aber auch der Aufstieg über den Gletscher wird ein Erlebnis sein. Schon mit Paulas Kindern habe ich dort in kurzen Lederhosen im Juli Schneeballschlachten veranstaltet.
    Ich starte um fünf in der Früh. Gute zwanzig Minuten steil meinen Hausberg hinunter, dann den schmalen Talgrund queren und wieder bergaufwärts Richtung Johannishütte. Ich muss einem langweiligen Fahrweg folgen. Der wurde angelegt, um den wertvollen Serpentinstein abzutransportieren, der in diesem Tal in zwei Steinbrüchen abgebaut wird. Hinter der Johannishütte erreiche ich wieder eine verkehrsfreie Zone. Stetig geht es bergan. Oberhalb von 2300 Metern sind die Steine mit einer dünnen Eisschicht überzogen, über Nacht hat es gefroren. Nach gut vier Stunden sehe ich das Defreggerhaus, eine Alpenvereinshütte, die den Bergsteigern als Verpflegungs- und Übernachtungsstätte vor dem Gipfelsturm dient. Die Hütte ist ein schmuckloser Bruchsteinbau und steht in einer vegetationslosen, grauen Gerölllandschaft, noch entdecke ich keinen anderen Bergsteiger.
    Die Luft wird dünner, ich merke es in den Lungen. Ich steige noch 100 Meter höher, bis an den Gletschereinstieg. Von hier aus hat man freie Sicht auf die riesige Eisfläche und den Gipfel des Großvenedigers. Ich suche mir einen windgeschützten Sonnenplatz und schaue stundenlang in die wilde Landschaft. Zwischendurch esse ich ein paar Semmeln mit Tiroler Schinken und die Tafel Schokolade, die mir Paula zum Abschied zugesteckt hatte. Das hatte sie schon damals getan, als ich noch «ihr Ferienkind» war.
    Am späten Mittag schlafe ich tief und fest auf einer glatten Felsplatte, bis die schräge Sonne mir in die Augen scheint. Ich begebe mich zurück zum Defreggerhaus, hier herrscht mittlerweile Hochbetrieb. Wenn das Wetter gut ist, und das ist es, Simon hat bis jetzt recht behalten, drängen viele Reinhold Messners in das graue Gemäuer, denen der Mount Everest dann doch zu hoch erscheint.
    Wie alle Gipfelstürmer muss ich in der Hütte übernachten, da der Aufstieg ganz früh morgens erfolgen muss, wenn die Sicht gut und der Schnee noch firnig ist. Im Gastraum sitzen – draußen ist es in dieser Höhe selbst an Sommerabenden zu kalt – rund achtzig Bergkameraden aus den verschiedensten Ländern vor dampfenden Tellern, es herrscht Hochstimmung an den Tischen. So gegen neun Uhr kommt der spannende Moment. Welche Nation packt zuerst die Gitarre aus? Es sind die Polen. Das ist gut für den Wirt, aber schlecht für die anderen Nationen. Polnische Berglieder sind für uns Nicht-Polen schwer mitzusingen.
    Schließlich ist es Zeit fürs Matratzenlager. Ich verweigere diesen Ort, eine frühkindliche Schädigung. Die Geräusche und Gerüche, die ich da als Junge erlebte, wenn wir diese Tour unternahmen …
    Dutzende von Bergsteigern und Bergsteigerinnen lagen in Trainingshosen und Jacken mit Socken an den Füßen unter kratzigen Wolldecken, eng an eng, und ich mittendrin. Zu Beginn der Nacht herrschte noch halbwegs Ruhe, wegen der Tiefschlafphase, aber so gegen Mitternacht wurde aus dem Matratzenlager ein Krankenlager und wenig später ein Arbeitslager. Husten, Röcheln, Stöhnen, Schniefen, Herumwälzen, Schlipfkrapfenverdauen und Schnarchen (ein paar glückliche Schläfer gab es immer) wurden gegen drei Uhr morgens abgelöst von Weckerklingeln, Rucksack durchwühlen und umpacken, Adiletten mit Taschenlampe suchen und auf die Toilette stolpern, Wasser aus Aluflasche trinken und Aspirin einnehmen und Nachbarn fragen: «Siehst du, ob der Mond scheint?»
    Wie oft habe ich da gedacht: Hoffentlich ruft der Berg sie alle zu sich, und wenn nicht der Berg, dann wenigstens eine tiefe Gletscherspalte.
    Zum Übernachten lege ich mich im Gastraum auf eine Bank. Da stinkt es zwar auch, aber anders, und da bin ich irgendwann allein. Wenn Polen eine Gitarre in der Hand haben, dauert das natürlich. Das ist mir egal, so sprachunbegabt bin ich ja nun wieder auch nicht.
    Im Morgengrauen und mit schmerzenden

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