Is Nebensaison, da wird nicht mehr geputzt: Urlaub in der Hölle
fast verlegen. Er steckte sich schnell eine Zigarette an und wandte sich danach noch schneller seinen Jagdkumpanen zu.
Ich selbst hatte an diesem Sonntag aber auch viel erlebt. Ich hatte eine wilde Schießerei überstanden, eine tote Schildkröte gesehen und begriffen, wie ökologischer Tourismus à la Nordzypern aussieht. Ich sollte den Autor dieses Reiseführers mal treffen, wir könnten Freunde werden. Aber noch etwas anderes hatte ich an diesem Tag erkannt: Was sollte ich auf Nordzypern? Geheimtipp hin oder her. Wäre ich ein passionierter Jäger oder Angler oder Taucher oder Strandläufer, ich hätte vielleicht mein Traumland entdecken können, aber so …
Folglich bezahlte ich am nächsten Tag meine Rechnung für Unterkunft und die akkuraten Gurken-Tomaten-Scheiben, setzte mich ins Auto und fuhr nach Famagusta. Der Ort war früher eine Touristenhochburg. Früher – das war, als sich die griechischen Zyprioten und die türkischen Zyprioten noch mochten. Seitdem ist Famagusta etwas für Menschen, die sich in Geisterstädten wohlfühlen und denen Bauruinen mindestens so lieb sind wie Bausünden, die mehr auf Nato-Zaun als auf Jägerzaun stehen, für die der Fluchtgedanke ein guter Gedanke ist und deren Urlaubsmotto schlichtweg lautet: «Normal am Strand liegen kann jeder, aber am Strand liegen und dabei gegen Landminen, herabstürzende Eisenträger und umherfliegende verrostete Sonnenschirme ums Überleben kämpfen, das bringt den ultimativen Erholungsfaktor.» Dafür durfte man kein normal sterblicher Tourist sein. Ich bin ein normal sterblicher Tourist, trotz meiner Massentourismusphobie. Deshalb verbrachte ich nur einen halben Tag in Famagusta und fuhr noch am späten Nachmittag in den türkischen Teil der Hauptstadt, nach Lefkoşa.
Im Saray-Hotel stieg ich ab. Eine Alternative gab es nicht, wenn man in der Altstadt wohnen wollte. Die Unterkunft war ihr Geld wert, denn hier war ich in Nordzypern, konnte mich aber auch fühlen wie in Nordkorea, Usbekistan oder auf Kuba. Das war den Besitzern jedoch nicht klar, sonst hätten sie augenblicklich die Preise erhöht. Die vorherrschende Wandfarbe im Eingangsbereich war Hellgrün, auf der linoleumüberzogenen Theke der Rezeption stach ein völlig verstaubter Rosenstrauß aus Plastik hervor, die Sitzecke in der Lobby bestand aus einer speckigen, braunen Ledergarnitur, das restliche Mobiliar war – nicht weiter verwunderlich – aus Plastik. Ein auffälliges Neonschild wies den Weg in ein Casino im Untergeschoss. Im Zimmer wurde es nicht besser, was die Einrichtung betraf. Die Matratze war feucht, die Bettdecke sprühte Funken, so elektrisch aufgeladen war sie, im Bad tropften alle Wasserhähne. Ich warf mein Gepäck aufs Bett und begab mich ins Getümmel der Altstadt.
Ich kam an vielen Jeansläden vorbei, auch an ein paar Gürtelläden, und dann sah ich sie: die Mauer. Mit Blauhelmsoldaten und Visa-Häuschen, auch «Green Line» genannt. Ich hatte kein Problem, ein Tagesvisum zu bekommen, das ging ganz schnell. Und auf einmal war ich drüben in Nicosia.
Da gab es weniger Jeansläden, aber genauso viele Gürtelläden. Die fehlenden Jeansläden wurden durch McDonald’s-Restaurants und Schmuckgeschäfte wettgemacht. Wer in Berlin die Mauer vermisst, sollte unbedingt nach Lefkoşa oder Nicosia reisen. Lefkoşa muss man sich als einstiges Ostberlin vorstellen, Nicosia als einstiges Westberlin. Der Vergleich ist nicht ganz korrekt: In Westberlin wohnen ja auch Berliner, aber in Nicosia habe ich an diesem Nachmittag keinen Zyprioten gesehen. Einzig ein paar türkische Zyprioten, die mit mir rübergekommen waren. Der Rest der Menschen waren Frauen, die alle aus Südostasien stammten. War Nicosia verkauft worden? Hatte ich da etwas verpasst?
Ein Café-Besitzer klärte mich auf. Es sei ein Sonntagnachmittag, erzählte er. Da hätten alle philippinischen und thailändischen Putzfrauen, Dienstmädchen und Babysitter aus Nicosia frei. Die zypriotischen Damen würden wahrscheinlich am Hauspool liegen und die Männer auf der Jagd sein.
Aha, die geteilte Stadt war auch noch wie die Philippinen oder Thailand. Eine Reise und fünf Ziele. Wenn das kein neuer Geheimtipp war.
Am nächsten Morgen flog ich nach Hause, und bis heute weiß ich nicht so genau, warum es mit mir und Nordzypern nicht so recht geklappt hat. Vielleicht sollte ich noch einmal hinreisen. Das wirklich Schöne entdeckt man angeblich erst auf den zweiten Blick.
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