Isabelle
Cousinen, die sich aber mit der Zeit und in dem Maße, wie Maran älter wurde und sich mehr und mehr zurückzog, immer weniger um sie kümmerten. Und dann stand auf einmal Mechthilds Tochter vor der Tür. Hochschwanger.
Maran hatte sich jahrelang die Schuld am Tod Amandas gegeben. Sie hätte nie zulassen dürfen, dass das Mädchen bei ihr zu Hause niederkam, sie hätte darauf bestehen müssen, dass sie ins Krankenhaus ging. Dann würde sie jetzt noch leben.
Maran war sich natürlich darüber im Klaren, dass man im Leben unmöglich alles vorhersehen konnte und dass Unglücke nun einmal geschahen, aber das trug nur wenig dazu bei, ihre Schuldgefühle zu mindern.
Und nun war sie verantwortlich für Amandas Tochter, selbst wenn die jetzt angeblich erwachsen war und theoretisch in der Lage sein sollte, für sich selbst zu sorgen. Manchmal wünschte sie, sie wäre nicht zu Hause gewesen, als Amanda an ihrer Tür geklingelt hatte. Dann wäre das Mädchen vielleicht wieder weggegangen, sie wäre weitergezogen und irgendwo anders gelandet und hätte die einzige Verwandte, die ihr geblieben war, vergessen, ebenso wie Mechthild es getan hatte. Dann wäre Marans Leben unberührt geblieben: sonntags in die Kirche und jeden Tag der immer gleiche Rhythmus von Bügeln, Staubsaugen und Einkaufengehen, bei dem sie sich sicher fühlte. Alles wäre so einfach geblieben, wenn sie ihre Tür vor diesem Mädchen und vor der Erinnerung an all die dunklen Dinge aus der Vergangenheit verschlossen gehalten hätte. Aber sie hatte sie geöffnet und eine ebenso düstere Zukunft hereingelassen.
Judith knallte wütend den Hörer auf die Gabel. Mit klickenden Absätzen kam ihre Mutter über den Marmorfußboden zu ihr hin.
»Und?«
»Und was? Die glauben, ich hätte sie nicht mehr alle. ›Ach, er ist also eine Nacht weggeblieben, Mevrouw? Was erwarten Sie denn jetzt von uns? Er ist ein erwachsener Mann, Mevrouw. Erwachsene Ehemänner sind öfter mal nachts unterwegs.‹«
»Vielleicht hatte er einen Unfall.«
»Die Polizei hat nichts von einem Unfall gehört. ›Nein, Mevrouw, da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, darüber wüssten wir längst Bescheid. Er hatte doch Papiere bei sich? Und was ist mit seinem Auto?‹« Judith stampfte mit dem Fuß auf. »Ich habe ihnen das Kennzeichen durchgegeben. Das liegt jetzt bei denen auf dem Schreibtisch, und sie stehen grinsend drum herum.«
»Sie brauchen die Autonummer doch nur in den Computer einzugeben, dann sehen sie sofort, ob sein Wagen in einen Unfall verwickelt war. Das machen die doch bestimmt routinemäßig.«
»Ich fühle mich wie die betrogene Ehefrau. Die Polizei glaubt, mein Mann sei bei seiner Geliebten und lacht sich schief.«
»Hör auf«, sagte Carolien. »Du quälst dich doch nur selbst.«
»Vielleicht haben sie Recht, und er hat tatsächlich eine Geliebte.«
»In dem Fall kannst du froh sein, dass du ihm gegenüber auf einen Ehevertrag bestanden hast«, bemerkte Carolien sachlich. »Die Firma bleibt auf jeden Fall in deinem Besitz.«
»Aber vielleicht war das auch ein Fehler. So, als wolle ich ihm keine Verantwortung übertragen, weil ich nicht genügend Vertrauen in ihn setze.« Judith ging hinüber zum großen Erker und ließ sich auf das Sofa fallen. Mit den Fingerspitzen fuhr sie über den weißen Lederbezug. Sie schaute ihre Mutter an. »Ich weiß noch nicht einmal, ob ich böse oder traurig sein soll. Hat Bram jemals eine andere gehabt?«
»Nicht dass ich wüsste.« Ihre Mutter setzte sich neben sie. »Und wenn du mal kurz deinen Verstand benutzen würdest, wäre dir klar, dass hier keine Geliebte im Spiel sein kann. Wenn es so wäre, hätte er sich einen anderen Abend ausgesucht oder er hätte sich für gestern Abend eine Ausrede ausgedacht, schließlich hattet ihr eine wichtige Verabredung. Ben würde dich nie einfach so sitzen lassen, ohne einen Grund dafür zu nennen. Er hätte sich zumindest bei dir gemeldet.«
»Er ist ein Gentleman, willst du wohl sagen«, meinte Judith spöttisch.
Sie dachte an die van Doorns und an die Verlegenheit, in die sie geraten war, als deutlich wurde, dass Ben nicht mehr erscheinen würde. Sie hatte ununterbrochen gelächelt, ein Lächeln wie eingefroren, hatte versucht, übers Geschäft zu sprechen, und sich Entschuldigungen für ihn ausgedacht. Schließlich war sie sogar zum Telefon im Eingangsbereich gegangen und hatte so getan, als führe sie ein Gespräch mit Ben, obwohl er sein Autotelefon nicht abnahm, bis sie
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