Isabelle
Mörder gesehen haben.
Schweres Kaliber, Hochgeschwindigkeitsgeschoss, quer durch den Kopf, auf direktem Weg hinein und wieder hinaus, stecken geblieben in der Schulter der Frau. Aus der Nähe wahrscheinlich, fast ein Kontaktschuss. Ob sich um die Wunde herum Schmauchspuren befanden, musste die Autopsie ergeben. Niemand hatte einen Schuss ge hört, aber wahrscheinlich hatte der Mörder einen Schall dämpfer benutzt.
Kleiweg hörte, wie jemand zur Vordertür hereinkam. Er schaute sich noch einmal um. Er erwartete nicht, dass der Erkennungsdienst viele Spuren und Fingerabdrücke finden würde. Alles wies auf einen Profikiller hin, der den Mann vielleicht schon seit einer Weile verfolgt hatte, hier seine Chance gewittert und sie genutzt hatte. Diese Leute trugen Handschuhe und hinterließen weder Knöpfe noch Kleidungsfasern, weder Zigarettenkippen noch Visiten karten.
Der junge Beamte vor der Tür des kleinen Hotels wirkte nervös. Seine Blicke huschten zwischen den Neugierigen auf dem Deich und der Reihe von Bungalows hin und her. Er war noch nie bei den Ermittlungen in einem Mordfall dabei gewesen, geschweige denn, dass er je mit eigenen Augen anderswo als im Kino eine Szene wie die heute Morgen im Bungalow gesehen hatte.
Stotternd stieß er seine Worte hervor. »Wir waren um halb elf hier, nein, um zehn Uhr vierzig, Koos Berends und ich. Mevrouw Danzig hat um kurz vor halb elf ange rufen, sie hat auch den Arzt geholt. Die Kette lag noch vor der Tür, und …«
»Ich kann mir gut vorstellen, dass du dich erschrocken hast«, meinte Kleiweg.
»Der Brigadier hat gesagt, dass wir auf keinen Fall ein fach so hätten reingehen dürfen.«
»Jetzt mach dir darüber mal keine Sorgen. Ihr habt ge tan, was ihr tun musstet.«
Der junge Polizist schaute ihn dankbar an.
»Ihr musstet also außen herumgehen. Standen die Tü ren zum Garten offen?«
»Eine von ihnen. Mevrouw Danzig sagte, sie sei nur angelehnt gewesen, aber sie sei lieber nicht reingegan gen.«
»Alles, was ich wissen muss, ist, wie es dort aussah und was genau du gemacht hast, als du reingegangen bist.«
Der Beamte nickte. »Wir haben nichts angefasst, zuerst jedenfalls nicht. Später hat der Brigadier in der Kleidung nach Papieren gesucht. Ich bin erst allein reingegangen, um nachzuschauen, ob sie noch leben, habe den Puls am Hals gefühlt, aber ich hab nichts gespürt, ich dachte, sie wären alle beide tot, das war dumm von mir, aber ich hab’s wirklich nicht gemerkt.«
»Vielleicht lag sie im Koma. Dieser Zustand ist kaum vom Tod zu unterscheiden«, meinte Kleiweg tröstend. »Wie lag das Bettzeug?«
»Die Decke am Fußende, halb auf dem Boden, das Laken zur Hälfte über sie gebreitet.«
»Als hätte es die ganze Zeit so gelegen oder als hätte jemand anders es so über sie gedeckt?«
Der Beamte schien verwirrt. »Das konnte ich nicht erkennen. Koos ist vor der Tür stehen geblieben, und ich habe angerufen. Zuerst kamen der Fotograf und der Brigadier, und kurz darauf der Arzt. Der Doktor hat dann gesehen, dass die Frau noch lebte. Der Notarztwagen war Gott sei Dank schon unterwegs …«
»Also hat niemand die Körper in eine andere Stellung gebracht, bevor die Aufnahmen gemacht wurden?«
»Das weiß ich mit hundertprozentiger Sicherheit.«
Kleiweg bedankte sich bei ihm und ging ins Hotel. Er fragte sich, warum er der Tatsache, dass die Lage der Körper verändert worden war, so viel Bedeutung beimaß. Vielleicht lag es einfach nur daran, dass ihm der Grund dafür nicht einleuchtete. Wenn der Mörder kontrollieren wollte, ob die Frau noch lebte, hätte er doch nur den Mann von ihr wegwälzen müssen. Das hatte er offensichtlich auch getan, aber außerdem hatte er sie auf dem Bett weiter hinuntergezogen, hin und her bewegt und verlagert, bis sie sich in der Position befunden hatte, in der man sie schließlich fand. Vielleicht hatte er etwas gesucht. Aber sie waren beide nackt, also was glaubte er, finden zu können?
Mevrouw Danzig stand mit verschränkten Händen am erloschenen Kamin. Das Hotel war geschlossen, und außer ihr befand sich niemand im Speisesaal. Kleiweg ging auf sie zu. Sie nickte schweigend, als er sich vorstellte. Sie machte den Eindruck einer ausgeglichenen Person, aber im Moment stand sie unter Schock.
»Meinen Sie, dass man sehr viel Wirbel um diese Sache machen wird?«, fragte sie besorgt.
»Wir werden alles tun, um das zu verhindern«, versicherte er ihr.
»Es ist furchtbar«, sagte sie. »Als ich so gegen zehn Uhr
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