Isabelle
nach Hause zu Tante Maran. Wir können erst irgendwo einen Hamburger essen und danach vielleicht noch ins Kino gehen.«
»Bitte, Letty.«
»Ich will dir doch nur helfen«, meinte Letty. »Ich bin darin zwar nicht besonders gut, aber das ist wahrscheinlich niemand, außer Jesus Christus. Ich kann dir nicht über den Kopf streicheln und sagen: Ein Wunder geschehe, und alles ist wieder gut. Aber ich finde eben, dass du so bald wie möglich wieder auf die Beine kommen musst.
Abzuhauen nach Tahiti würde alles nur noch schlimmer machen, denn was solltest du da tun, außer den Sonnenuntergang zu betrachten und in Selbstmitleid zu versinken?«
Letty hatte natürlich Recht, aber sie konnte nicht wissen – und würde auch niemals verstehen –, wie es für sie war, die Welt mit diesen anderen Augen zu sehen. Isabelle warf einen Blick auf die quer zusammengefaltete Zeitung. Sie sah sich selbst im Krankenbett, mit geschlossenen Augen, weiß und klein und von Maschinen umringt. Auch ein großes Foto vom Gasthaus an der Linge war abgedruckt. Auf dem Bild wirkte es so anders, kühler und sachlicher, ohne die Gefühle, die dazugehört hatten. Sie starrte das dritte Foto an, auf dem eine attraktive Frau mit verschrecktem Blick in der Türöffnung einer modernen Villa zu sehen war.
»Ist das seine Frau?«
»Judith Colijn. Eine reiche Dame, sie wohnt dort zusammen mit ihrer Mutter, Carolien Colijn, die ist schon seit zwei Jahren Witwe. Warum hast du dir bloß einen verheirateten Mann ausgesucht?«
»Ich habe es nicht gewusst.«
»Aber ich hatte dich doch vor seinem Ehering gewarnt«, entgegnete Letty. »Hat er es dir denn nicht selbst gesagt?«
»Doch, natürlich. Gleich am Anfang.« Isabelle spürte, wie ihre Wangen warm wurden, als wäre sie von jemandem beleidigt worden. »Aber in dem Moment spielte es keine Rolle mehr«, fügte sie hinzu.
»Tut mir Leid.« Letty schob die Zeitung beiseite und nahm Isabelles Hand. Einen Moment lang saß sie still da und sagte dann: »Ich wollte dich das beim letzten Mal schon fragen. War es das alles wert?«
»Nicht, dass Ben sterben musste. Nichts kann seinen Tod aufwiegen.« Isabelle schaute ihre Freundin an. Sie wollte es ihr erklären, Letty war die Einzige, der sie es jemals würde erklären können. »Ansonsten war es das wert, ich würde alles andere dafür aufgeben. Aber es war keine Frage der Entscheidung. Ich hatte keine andere Wahl, das spürte ich die ganze Zeit, es war nicht einfach Liebe, es war wie nach Hause kommen, es war unvermeidlich, ich konnte nicht anders, und ich glaube, Ben auch nicht. Ich weiß nicht, ob du verstehst, was ich damit sagen will.«
»Nein, leider nicht.«
Isabelle sah, dass Letty sie nicht verspottete, sondern es ernst meinte. »Was steht über Ben in den Zeitungen?«
»Er wurde in aller Stille beigesetzt. Niemand war dabei außer den beiden Witwen.«
Isabelle kniff die Augen zu. »Das meine ich nicht.«
»Möchtest du es nicht selbst lesen?«
Isabelle drehte den Kopf zur Wand und flüsterte: »Es ist unhöflich, in Gesellschaft zu lesen.«
Letty nahm die Zeitung vom Bett und faltete sie zusammen. »Die Fabrik gehört seiner Frau, Ben war der Direktor. Sie haben vor etwa vier Jahren geheiratet. Keine Kinder. Die Zeitung weiß nur wenig über seine Vergangenheit zu berichten, seine Sekretärin hat gesagt, er sei in einem Waisenhaus groß geworden und nach der Höheren Schule zur See gefahren. Seine Frau weigerte sich, mit den Journalisten zu reden, war aber offensichtlich an dem besagten Abend mit ihm zum Abendessen mit einem Bankier und dessen Frau verabredet. Ursprünglich wollten sie gemeinsam hinfahren, aber Judith musste wohl erst noch zum Friseur. Das passt zu ihr – Friseur- und Schönheitssalons. Möchtest du noch mehr wissen?«
»Warum ist Ben ermordet worden?«
»Das weiß man nicht. Er hatte keine Feinde, das sagen zumindest alle, die von den Journalisten dazu befragt worden sind. Die Polizei glaubt, es könne jemand aus seiner Vergangenheit gewesen sein, aber sie haben keinerlei Anhaltspunkte, keine Spuren, nichts. Niemand hat den Täter gesehen oder gehört. Du hast jedenfalls nichts damit zu tun. Das habe ich ihnen auch klar gemacht.«
Isabelle wandte ihr Gesicht mit einem Ruck Letty zu. »Du hast mit der Polizei gesprochen?«
»Na ja, eher die mit mir. Es war nicht zu vermeiden. Die haben bei unserem Chef vorgesprochen und Fragen gestellt wie: ›Gibt es hier jemanden, der sie gut kennt, oder hat sie vielleicht eine
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