Isabelle
Freundin hier?‹ Das machen die immer so. Ich habe ihnen lediglich erzählt, dass der Mann bei uns Kaffee getrunken hat und ihr ins Gespräch gekommen seid und dass er dann nachmittags wiederkam. Ich habe gesagt, dass du ihn noch nie zuvor gesehen hattest, aber offenbar beschlossen hast, lieber mit ihm auszugehen anstatt mit mir zusammen zu Abend zu essen.«
»Das nimmst du mir wohl immer noch krumm.«
Letty schüttelte den Kopf. »Sei froh, dass sie dich außen vor lassen. Du hast nichts gesehen, denn du warst bewusstlos. Du bist nur die sexy Kellnerin, die sich zu einem Essen und dem Rest hat verführen lassen. Du hast mit dem Ganzen nichts zu tun.«
»Wenn es doch nur so wäre!«
»Warum?«
Isabelle griff nach Lettys Hand und zog sie zu sich hin. »Wenn ich mich doch einfach nur hätte verführen lassen wie ein leichtes Mädchen«, flüsterte sie. »Dann würde es weniger wehtun, und ich könnte es vergessen. Aber so war es nicht.«
Letty drückte ihre Hand.
Die Krankenschwester kam ins Zimmer, gefolgt vom Arzt, der fröhlich lächelte. »So, dürfen wir denn dann mal zu der Patientin?« Letty stand vom Stuhl auf und der Arzt beugte sich über Isabelle. »Na was denn? Tränen, weil Sie uns schon jetzt vermissen?«
»Nein, Mevrouw«, sagte Kleiweg. »Die Akte wird nicht geschlossen. Was ich Ihnen versuche zu erklären, ist, dass die Polizei keinerlei Hinweise hat, keinen einzigen Tipp und nicht die geringste Spur.«
Judith schritt verärgert über den Marmorfußboden zum Seitenfenster und schaute hinaus in den Garten. »Wie immer Sie es mir auch erklären: Sie wollen jedenfalls keine Zeit mehr auf die Ermittlungen verschwenden.«
»Es tut mir Leid, wenn Sie es so auffassen«, antwortete Kleiweg und blieb im weißen Sessel neben dem erloschenen Kamin sitzen. »Wir arbeiten weiter an dem Fall, nur mit geringerer Intensität. Unseren Möglichkeiten sind Grenzen gesetzt. Zu diesem Zeitpunkt stehen die Chancen, dass wir den Mörder je ausfindig machen, sehr schlecht. Alles weist auf einen Profikiller hin, der im Auftrag eines Dritten handelte und dafür bezahlt wurde.«
Judith betrachtete den Garten. Sie war innerlich zerrissen. Einerseits wollte sie wissen, wer Ben ermordet hatte und warum und wer diese kleine Nutte war, die ihr seine letzten Stunden gestohlen hatte. Innerlich kochte sie vor Wut. Doch andererseits schreckte sie vor den Folgen zurück, vor den Rechtsstreitigkeiten und der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, und hätte die ganze Sache gern ebenso in aller Stille begraben wie Ben selbst, sodass der Rest der Welt diesen Skandal vergessen würde.
»Das bedeutet, dass der Mord nur aufgeklärt werden kann, wenn wir das Motiv finden«, hörte sie Kleiweg hinter sich sagen. »Die Leute, die mit Ihnen gemeinsam seinen Computer und seine Papiere durchforstet haben, konnten nichts finden, keinerlei Hinweise. Deshalb glaube ich, dass das Motiv nicht in der Gegenwart liegt, sondern in der Vergangenheit.«
Judith drehte sich um. »Und, haben Sie da etwas gefunden?«
Kleiweg schüttelte den Kopf. »Ihr Mann hat vor Ihrer Hochzeit eine Weile bei einer Bootswerft in Sneek gearbeitet. In dieser Phase hat sich offenbar nichts Ungewöhnliches ereignet. Ich denke eher an die Zeit davor.
Wir haben seinen Agenten in Singapur kontaktiert, bei der World Wide Shipping Agency. Die vermittelt Tausende Seeleute aller Nationalitäten. Sie verfügen über eine Computerliste aller Gesellschaften, für die Ben gefahren ist, aber wir können unmöglich nachvollziehen, ob in diesen zwanzig Jahren, in denen er auf so vielen verschiedenen Schiffen und Tankern in allen Erdteilen unterwegs war, möglicherweise etwas vorgefallen ist, das irgendwelche Leute veranlasst hat, ihn aus dem Weg zu räumen. Entschuldigen Sie bitte den Ausdruck …«
»Ben war kein Krimineller«, sagte Judith nachdrücklich. »Das wüsste ich.«
»Was ist mit der Narbe an seiner Hand?«, fragte Kleiweg. »Wissen Sie, wie er dazu gekommen ist?«
Sein beiläufiger Tonfall ließ sie unsicher werden. »Die stammt aus der Zeit, als er noch ein kleiner Junge war. Er wollte über einen Zaun mit spitzen Eisenstäben klettern. Ein Freund versuchte, ihn daran zu hindern, hängte sich an seine Beine, und ein Stab bohrte sich durch seine Hand.«
»Hat Ihr Mann Ihnen das erzählt?«
»Ja.« Die Geschichte hatte immer ganz natürlich geklungen, bis heute, wo sie vor einem stirnrunzelnden Polizisten stand. »Glauben Sie nicht daran?«
»Es sind eher die
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