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Isabelle

Isabelle

Titel: Isabelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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Vorgesetzter? Wer ist hier der Eigentümer? Oder ist das auch ein Geheimnis?«
    »Nein, Mevrouw, aber er wird garantiert nicht über meinen Kopf hinweg …«
    Ihr Gesicht verzerrte sich. Sie fiel aus der Rolle, und es geschah so schnell, dass er sich mitten im Satz unterbrach und sie sprachlos anstarrte. Aus ihren Augen schossen Blitze, und Speicheltröpfchen traten ihr auf die Lippen. »Dieses Flittchen«, zischte sie. »Sie schützen eine ordinäre Nutte, die meinen Mann verführt hat, um ihn ausrauben zu können, zusammen mit ihrem Komplizen. Aber mein Mann ließ sich nicht so einfach berauben, und deshalb haben sie ihn umgebracht.«
    Van Houten reagierte frostig. »Die Polizei ist da anderer Meinung«, sagte er abweisend. »Erstens wurde niemand beraubt und zweitens wurde das Mädchen selbst verwundet.«
    »Verwundet?«, fuhr sie ihn höhnisch an. »Ein Schuss hat sich gelöst, weil mein Mann sich gewehrt hat und die es einfach stümperhaft angefangen haben.« Ihre Stimme wanderte in die Höhe. »Und was ist mit seiner Brieftasche? Wo ist die?«
    Van Houten warf einen besorgten Blick um sich und sagte beschwichtigend: »Mevrouw, ich kann hier keine Szenen gebrauchen. Wenn es sich so zugetragen hat, wie Sie behaupten, dann wird die Polizei schon dahinter kommen. Aber es würde mich wundern. Ich kenne das Mädchen, und sie hat ganz bestimmt nichts mit dem Tod Ihres Mannes zu tun. Ich habe Verständnis für Ihre Gefühle, aber wenn ich Sie wäre, würde ich die Sache auf sich beruhen lassen.«
    Die Hand mit dem Ehering krümmte sich wie eine Klaue um die Tischdecke. Dann riss sie die Tasche vom leeren Stuhl neben sich. Van Houten dachte, sie wolle bezahlen, und sagte rasch: »Ist schon gut, Mevrouw, lassen Sie nur.«
    Sie erhob sich, presste die Tasche an den Körper und blickte sich im Restaurant um. Van Houten stand ebenfalls auf und verabschiedete sie mit einer angedeuteten Geste, in der Hoffnung, sie möge sich in Bewegung setzen und das Restaurant verlassen, bevor er die Polizei oder die Sanitäter mit der Zwangsjacke rufen musste.
    »Mevrouw?«
    Sie schaute auf seine ausgestreckte Hand und von da aus zu den besetzten Tischen hinüber, wo die Leute versuchten, so zu tun, als seien sie nicht neugierig. Dann sah sie ihn an und sagte in beherrschtem Tonfall: »Ich werde nicht eher ruhen, bis diese Hure für den Rest ihres Lebens hinter Gittern sitzt. Richten Sie ihr das aus, falls sie die Frechheit besitzt, sich hier je wieder blicken zu lassen.«
    Sie ging wie über Glas zum Ausgang, öffnete die Tür und verschwand außer Sicht.
    Die Albträume suchten sie noch regelmäßig heim. Isabelle begann sich daran zu gewöhnen, mit schweißnasser Stirn und klammen Händen nachts im schmalen Holzbett ihres Zimmers hochzuschrecken. Sie hatte irgendwo gelesen, wie man böse Erinnerungen loswerden konnte, indem man sie einfach ergriff und aus dem Gedächtnis hinauswarf. Die Hindus benutzten diese Technik schon seit Jahrhunderten. Sie funktionierte, weil es sich bei der Gehirnaktivität um einen elektrischen Leitungsvorgang handelte. Elektronen waren nichts anderes als Materie, und Materie konnte man ergreifen und entfernen. Man brauchte nur die unerwünschte Erinnerung vom Rest seiner Gedanken zu isolieren und sich so stark auf sie zu konzentrieren, dass sie eine greifbare Form erhielt. In dem Zustand konnte man sie dann ins Zentrum der Stirn tragen und schwungvoll aus dem Kopf hinauswerfen wie ein Diskuswerfer. Wenn man es richtig anstellte, konnte man ihre Flugbahn verfolgen und sie außer Sicht verschwinden sehen.
    Isabelle fiel es leicht, in ihren eigenen Kopf hineinzugehen. Sie sah die Erinnerungen an jene Nacht wie einen greifbaren Gegenstand vor sich, den sie wie in einem leeren Computerraum absondern, packen und kneten konnte. Sie konnte darauf herumtrampeln, bis sie nichts weiter waren als eine leblose Diskette, und sie wie aus einem Raumschiff hinaus ins All schleudern.
    Nur Ben konnte sie nicht vergessen, und wenn sie an Ben dachte, kam alles wieder zurück, sämtlichen Fakirtechniken zum Trotz.
    Manchmal spürte sie ein leichtes Beben auf ihrem Handrücken oder ihre Lippen fingen plötzlich an zu zittern. Sie blieb tagelang in ihrem Zimmer, zuerst im Bett, später angezogen. Sie versuchte, ein Buch zu lesen oder Klavier zu spielen, doch keine Zeile drang zu ihr durch, und sobald sie eine Taste anschlug und der verschlissene Kneipenton des alten Pleyel ertönte, traten ihr die Tränen in die Augen, weil sie sich

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