Isabelle
Frage schwer fiel, er sie sich aber trotzdem nicht verkneifen konnte. »Warum hast du das getan?«
»Was habe ich denn getan?«, fuhr sie ihn an. »Ihn ermordet vielleicht?«
Er schüttelte den Kopf. »Warum bist du mit ihm mitgegangen?«
Er wirkte plötzlich linkisch und pubertär, sodass sie fast Mitleid mit ihm bekam, aber es ging ihn nichts an. »Einfach so, aus Spaß«, antwortete sie und öffnete mit einem Ruck die Tür.
Im Eingangsbereich fing Letty sie ab. »Und?«
»Job ade.«
Sie wollte weitergehen, aber Letty griff sie am Arm. »Was willst du denn jetzt machen?«
»Fensterscheiben einwerfen. Nach Honolulu trampen. Ein Restaurant aufmachen mit Huren, die glauben, sie seien Serviererinnen.«
»Red nicht so ’n Scheiß«, sagte Letty. »Ich halte die Augen für dich offen, okay?«
Isabelle nickte und verließ das Restaurant. Sie blickte über die Weiden und dachte daran, dass sie nun frei war und machen konnte, was sie wollte. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen traten, weil ihr die Freiheit so unermesslich groß erschien, und so leer.
Max fuhr ihr hinterher. Es war kein Kunststück zu erra ten, was vorgefallen war, wenn man eine junge Frau zur Arbeit gehen und sie zehn Minuten später mit ziellosen Bewegungen und abwesendem Blick wieder herauskom men sah.
Der Auftrag war einfach und das Objekt seiner Ermitt lungen machte es ihm leicht, weil es auf nichts achtete. Isabelle fuhr an den Autobahnauffahrten vorbei, und Max folgte ihr entspannt, bis sie mit ihrem kleinen Renault durch Waardenburg fuhr. Dort hielt sie bei einer Tele fonzelle an.
Max fuhr an ihr vorbei und parkte dreißig Meter wei ter. Er stellte den Motor ab, drehte sich um und beobach tete das Mädchen durch die Heckscheibe, über die Rü ckenlehne seines Autositzes hinweg. Sie stand in der Zelle und führte ein Telefongespräch. Sie hatte einen Schreibblock dabei, auf dem sie sich Notizen machte.
Nachdem sie aufgelegt hatte, kam sie wieder aus der Zelle heraus und stieg in ihr Auto. Max hatte schon die Hand am Zündschlüssel, aber die junge Frau fuhr nicht los. Sie lehnte sich zur Seite und wühlte in ihrem Handschuhfach herum. Ihre Hände blieben Max verborgen, aber durch die Bewegungen ihrer Schultern und die Art, wie sie dann und wann aufsah, als müsse sie nachdenken, kam es ihm vor, als schreibe sie etwas auf ihren Block.
Das Ganze dauerte fünf Minuten. Dann reichte sie wieder zur Seite, und er sah, wie sie einen Briefumschlag zuklebte. Der Umschlag verschwand außer Sicht, wahrscheinlich legte sie ihn aufs Lenkrad, um die Adresse draufschreiben zu können. Kurz darauf stieg sie aus und ging mit dem Umschlag in der Hand auf dem Bürgersteig in Richtung des Tunnels, der unter der Autobahn hindurchführte.
Max stieg ebenfalls aus und schlenderte auf seiner Straßenseite ein Stück weit zurück. Sie betrat ein kleines Postamt; er nahm an, um eine Briefmarke zu kaufen. Autos und Mopeds fuhren vorbei. Weiter weg dröhnte der Autobahnverkehr. Er eilte zurück zum Wagen, als er sie, ohne den Umschlag, wieder aus dem Postamt herauskommen sah.
Isabelle stieg in ihr Auto und fuhr aus der Ortschaft heraus. Max musste bremsen und praktisch am Straßenrand anhalten, als sie einmal unentschlossen um den Kreisverkehr herumkurvte, bevor sie scheinbar willkürlich an einer der Ausfahrten abbog. Er folgte ihr am Ortsschild nach Neerijnen vorbei, wo sie anscheinend auch nicht hinwollte, denn sie fuhr in derselben ziellosen Manier geradeaus weiter den Deich hinauf.
Max verringerte die Geschwindigkeit. Auf der Deichstraße war sein BMW ungefähr so unauffällig wie ein brennender Dornbusch auf dem Weg nach Jericho.
Das Mädchen passierte die letzten Häuser und folgte dann dem Deich, der durch Wiesen und Überschwemmungsgebiete führte. Max kurbelte das Seitenfenster herunter. Er hörte das träge Brummen von Traktoren. Das Wetter war herrlich. Bauern wendeten das Heu, an anderer Stelle grasten schwarzbunte Kühe im leuchtenden Grün. Ein Reiher schwebte über eine mit Schilf durchwachsene Weidenanpflanzung. Dahinter glitzerte der Fluss.
Max bremste und ließ sein Auto an den Straßenrand rollen, als die junge Frau die Geschwindigkeit drosselte und ihren Renault auf dem Damm am Ende der niedrigen Weidenpflanzung parkte. Ohne nach links oder rechts zu schauen, kletterte sie über den Zaun und ging den Deich hinunter. Den Renault ließ sie unabgeschlossen stehen. Ihre Tasche trug sie bei sich. Unten am Deich verschwand sie hinter
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