Isabelle
war nicht bei diesem Mädchen zu finden, das einzig und allein dem Impuls seiner Verliebtheit gefolgt war und nun wie ein Wrackteil des Zufalls und des Schicksals am Ufer zurückgelassen wurde. Das Warum, das Max beschäftigte, war die Frage nach dem Mord an Ben Visser. Es war das polizeiliche Warum, die Suche nach dem Motiv, das man meistens nur auf dem Wege des Wie und des Was entdecken konnte. Mit diesen Dingen beschäftigte sich CyberNel. Bei Isabelle Mertens handelte es sich um eine sechsundzwanzig Jahre alte Serviererin. Sie konnte lesen und schreiben, sie menstruierte und spielte Klavier. Wobei Letzteres das Einzige war, was man nicht unbedingt von ihr erwartet hätte.
Das Mädchen rührte sich nicht. Max ließ das Fernglas sinken. Sie wollte allein sein. Das erschien ihm der beste Abschluss für einen kurzen, bündigen und gut bezahlten Bericht. Isabelle Mertens hört dem Gras beim Wachsen zu und will in Ruhe gelassen werden.
7
Max parkte seinen BMW vor der neuen Garage unter den Apfelbäumen und betrat den Bauernhof. Marga erschien in der Wohnzimmertür, und er umarmte sie. Manchmal vergaß er seine Vergangenheit, und der verwegene Gedanke keimte in ihm auf, dass er mit dieser Frau gerne verheiratet wäre, aber Marga pflegte solche Anwandlungen unverzüglich im Keim zu ersticken. Da sie zu jung war, um den revolutionären Überschwang gegen Ende der sechziger Jahre bewusst miterlebt zu haben, musste ihr wohl die Vorstellung, die Ehe sei etwas für Beamte und Dummköpfe, aber nicht für eine verrückte Künstlerin wie sie, auf genetischem Wege eingeprägt worden sein.
Hinter ihr räusperte sich jemand. »Deine Zweitfreundin ist da«, sagte Marga und trat einen Schritt beiseite.
CyberNel lag zusammengerollt auf dem Sofa, mit dem für sie typischen Gesichtsausdruck einer geheimnisvollen Katze. Max schaute sie verwirrt an. »Was für Geschichten hast du ihr denn aufgetischt?«
»Na, na«, sagte Marga spöttisch, bevor Nel ein Wort sagen konnte. »Du willst doch nicht behaupten, dass du nie mit ihr im Bett gewesen bist.«
Max fing an zu grinsen. Margas Sechziger-Jahre-Vorstellungen betrafen zwar die Abneigung gegen den Trauschein, aber nicht unbedingt die offene Partner schaft. Zwar hatten sie sich weder Versprechungen ge macht noch waren sie gegenseitige Verpflichtungen ein gegangen, aber sie würde auf eine andere immer ein bisschen eifersüchtig sein. Max sah Nel an und antworte te: »Doch, ein Mal, glaube ich.«
»Was soll das heißen, glaubst du?«
»Er ist vor meinen Computern eingeschlafen«, half Nel. »Er war ziemlich betrunken.«
Nel sah aus wie ein zu klein geratenes sexy Raubtier in engen schwarzen Jeans und einem ebenfalls schwarzen Jeanshemd, kurz geschnittenen Haaren und Sommer sprossen auf der Nase.
CyberNel war besessen von Elektronik und Compu tern. Als sie noch bei der Polizei arbeitete, hatte sie ihre Fähigkeiten nie nutzen können, und nach einer kurzen Ehe mit einem Verkehrspolizisten, die eines natürlichen Todes, an Langeweile, starb, war sie ausgestiegen und hatte sich selbstständig gemacht. Seitdem hatte sie sich bei diversen Institutionen mit speziellen Sicherheitspro grammen einen Namen gemacht.
»Gut, das war das erste Mal«, sagte Marga. »Und da nach?«
»Nie wieder«, schwor Max.
»In den ganzen zwei Jahren, in denen ihr Tag und Nacht zusammengearbeitet habt?« Marga runzelte die Stirn. »Tag und Nacht?« Sie musste selbst darüber ki chern.
»Er ist nicht mein Typ«, erklärte CyberNel.
»Wer ist denn dann dein Typ?«
»Kaum einer.«
Nel war genauso unangepasst wie Marga, vielleicht fühlte sie sich hier deshalb sichtlich wie zu Hause. Bei Marga brauchte man keine konventionellen Umgangs formen. Nel war sechs Jahre jünger als sie, aber Max konnte auf einen Blick feststellen, dass die beiden auf einer Wellenlänge lagen.
Sie wechselten einen verschwörerischen Blick. »Du hät test sie mir nicht verheimlichen sollen«, meinte Marga sinnierend.
Max schaute Nel argwöhnisch an. »Woher wusstest du, dass du mich hier finden würdest?«
»Sie hat ein gutes Gefühl für Zahlen«, antwortete Mar ga. »Was man von mir nicht behaupten kann. Ich habe ein gutes Gefühl für Makkaroni. Nel bleibt zum Essen.« Sie nahm sich ein Sieb und ein Messer, um im Garten Salat abzuschneiden. »Gib ihm schon mal was zu trinken.«
Sie verschwand in der Tenne. CyberNel sprang geschmeidig auf und öffnete den Schrank mit den Getränken, als wäre sie hier zu Hause. »Als du bei mir
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