Isabelle
ein und dieselbe Person handelte.«
Er schwieg für einen Moment und fügte dann bitter hinzu: »Und alle sind gleich tot.«
9
Es hatte aufgehört zu regnen, aber auf dem Abschlussdeich sprühten die Lkws Wasserfontänen über seine Windschutzscheibe, und über dem Ijsselmeer hingen wie auf einem düsteren Gemälde schwere Wolken, Vorboten des Herbstes.
Die Uhr im Armaturenbrett zeigte Viertel vor fünf an. Vielleicht konnte er die mollige Emma noch erreichen, falls man sich in Hengelo an die Bürozeiten hielt. Max holte sein Notizbuch hervor und klemmte es mit einer Hand aufs Lenkrad, während er es mit der anderen durchblätterte. Mit einem Finger hielt er die Seite aufgeschlagen und wählte die Nummer. Stiftung Talshoeve. Er erkannte ihre Stimme wieder.
»Hallo, Emma, hier ist Max Winter.«
»Oh, hallo … hat es Ihnen was genützt? War es derselbe Junge?«
»Ja, du warst mir wirklich eine große Hilfe.«
Er konnte durchs Telefon spüren, wie sie errötete. »Ach, das war doch gar kein Problem. Ich dachte …«
»Hast du noch mal nachgefragt, ob sich noch andere Leute nach Alex Lafont erkundigt haben?«
»Ja, Mevrouw Van Gestel hat gesagt, Ende letzten Jahres sei ein Brief von einem französischen Notar gekommen, den habe sie an Meneer Hinstra weitergeleitet. Später hat auch noch mal jemand angerufen, aus Belgien, ich glaube, es ging um eine Erbschaft. Der Meneer wollte wissen, ob der Brief angekommen sei.«
»Kannst du dich an den Namen des Meneer aus Belgien erinnern?«, fragte Max.
»Ja, er hieß De Canter, aus Antwerpen, ein Geschäftsfreund des französischen Notars. Ich habe seine Telefonnummer.«
Max schrieb sich die Nummer auf und dankte ihr.
Dem Waisenhaus konnte man keine Vorwürfe machen. Sie hatten keinen Grund, ein Geheimnis aus der Sache zu machen. Im Gegenteil, was sprach dagegen, einem ehemaligen Zögling zu einer Erbschaft zu verhelfen? Wie einfach war es gewesen, die Spur von Alex Lafont, alias Ben Visser, aufzunehmen! Man brauchte nur einen Mann zu dem Seniorenzentrum zu schicken, am Tag von Gerben Hinstras Geburtstag, der dessen Adoptivsohn dann bis nach Brabant folgte.
So ganz sicher war die Sache allerdings noch nicht. Die Figur Ben Visser war immer noch nicht aus dem Spiel, aber Max hatte zunehmend das Gefühl, dass es um Alex Lafont ging.
CyberNel befand sich wohlbehalten inmitten der Elektronik in ihrem chaotischen Dachgeschoss. Sie ging sofort ans Telefon und lauschte geduldig seinem Monolog.
»Wenn es tatsächlich um Alex Lafont ging, habe ich viel von meiner und anderer Leute Zeit vergeudet«, sagte sie zum Schluss.
»Wir müssen die Visser-Option aber trotzdem auf jeden Fall weiterverfolgen.«
»Meiner Meinung nach hat die Polizei das bereits getan und dabei auf Granit gebissen. Dabei können die einfach hingehen und fragen. Mein Freund beim CRI geht äußerst vorsichtig mit seinen Quellen um. Das FBI tut alles, um sein Zeugenschutzprogramm abzuschirmen. Im Rahmen dieses Programms verschaffen sie Zeugen eine neue Identität, bringen sie an einen Ort ihrer Wahl, in diesem Fall außer Landes, und garantieren ihnen hundertprozentige Anonymität. Wenn bekannt wird, dass einer ihrer Zeugen von einem Auftragskiller aufgespürt und um die Ecke gebracht wurde, wird es sich der nächste Kandidat zweimal überlegen, ob er aussagt.«
»Also war Ben Visser einer dieser Kronzeugen? Aber die Schusswunde aus Florida war doch schon acht oder zehn Jahre alt. Laut Polizeibericht fuhr er zu dieser Zeit zur See, das weiß man von dieser Agentur in Singapur.«
Max fing das ungeduldige Blinken einer Lichthupe in seinem Rückspiegel auf, schlich zurück auf den rechten Fahrstreifen, verringerte sein Tempo und stellte die Scheibenwischer auf Intervallfunktion.
»Wann schaltest du endlich dein Gehirn ein?«, fragte CyberNel herablassend. »Alex Hinstra war in Florida, nicht Ben Visser. Nehmen wir mal an, Alex Hinstra hätte einen Mafiaboss hinter Gitter gebracht. Dafür kriegt er die Identität und den Pass eines gewissen Ben Visser. Plus dessen Vergangenheit. Den echten Ben Visser hat es entweder nie gegeben oder er ist schon lange tot. Vielleicht war ein anderer Ben Visser bei der Agentur in Singapur registriert, oder sie haben seinen Namen irgendwie in deren Computer reingeschmuggelt. Das ist keine Kunst, wenn man über solche Mittel wie die verfügt.«
Max nickte, aber das konnte Nel natürlich nicht sehen. Wenn Alex Lafont das Ziel gewesen war, hatte der Mörder sehr viel Glück
Weitere Kostenlose Bücher