Isabelle
eine alte Ermittlerweisheit?«
»Nach den ersten vierundzwanzig Stunden wird es schwieriger«, gab Max zu. »Laut Statistik. Aber wir haben jetzt endlich ein paar konkrete Hinweise, sogar Adressen.«
»Ja, in Frankreich«, bemerkte sie sarkastisch. »Und ich soll bezahlen.« Er wusste, dass ihr das Geld ziemlich egal sein konnte. Er war bescheiden bei seinen Honorarab rechnungen, die er ihr in unregelmäßigen Abständen schickte, aber die Wochen und Monate verstrichen. Sie nippte an ihrem trockenen Sherry und sagte: »Hierbei geht es nicht mehr um den Ben Visser, mit dem ich ver heiratet war.«
»Es wäre ein Jammer, zu diesem Zeitpunkt auf zugeben«, meinte Max. »Möglicherweise war er der Erbe eines Vermögens.«
»Wir hatten Gütertrennung vereinbart, also habe ich noch nicht einmal davon etwas.« Judith schnaubte. »Es ging mir nur um dieses Mädchen.«
Max berichtete von seinem Besuch bei Isabelle und fügte widerwillig ihre Adresse hinzu. Er fühlte sich wie ein Verräter. Auf der anderen Seite war Judith seine Klientin und sie hatte ein Recht darauf, alle Resultate seiner Ermittlungen zu erfahren.
»Schwanger?« Angewidert verzog sie das Gesicht zu einer fast hässlichen Grimasse. »Von wem?«
»Es kommt nur ein Mann als Vater in Frage.«
»Behauptet sie das?«
Max hatte ihr die Frage noch nicht einmal gestellt. Er hatte keine Sekunde lang an Isabelle gezweifelt.
»Sie lügt«, sagte Judith. »Es kann nicht von Ben sein. Ben war unfruchtbar.« Sie presste die Lippen aufeinander und Max erkannte deutlich ihre Befriedigung. Man konn te ihr ansehen, wie sie dachte: Also doch eine Hure.
Er wusste nicht, warum er das Bedürfnis verspürte, Isa belle zu verteidigen. Oder doch, im Grunde wusste er es nur zu genau. Er hatte sie am Fluss gesehen, Portwein mit ihr getrunken, in ihrem Häuschen gesessen. Wenn Isabel le eine Betrügerin war, war er reif für eine Therapie. »Bist du sicher?«, fragte er. »Hat sich Ben jemals einem Test unterzogen?«
»Wir haben jahrelang versucht, Kinder zu bekommen. Das ist doch wohl Test genug.«
»Könnte es nicht an dir gelegen haben?«
Ihre grünen Augen funkelten vor Wut. »Das geht dich zwar nicht das Geringste an, aber ich bin schon einmal schwanger gewesen. Also kann es nicht an mir gelegen haben, und sie ist genauso, wie ich dachte, was auch im mer du für sympathische Dinge über sie erzählst. Sie wohnt dort umsonst, bei einem Vater und dessen erwach senem Sohn? Vielleicht treibt sie es mit allen beiden.«
»Das bezweifle ich.« Max unterdrückte seine Wut. »Ich kann das für dich recherchieren, wenn du willst. Ben wurde obduziert, und dabei werden heutzutage, um eine eventuelle spätere Exhumierung unnötig zu machen, gleich alle erdenklichen Tests durchgeführt und Proben entnommen, auch Sperma- und DNA-Proben.« Er sah, wie sie zusammenfuhr.
»Ich kann einfach nicht verstehen, warum sie es behal ten will«, sagte Judith.
»Das ist ihre Entscheidung.«
Er registrierte, wie ihre Kiefermuskulatur arbeitete, konnte sich aber nicht vorstellen, was genau in ihr vor ging. Wut, das Gefühl, verraten worden zu sein, Abscheu und Neid zugleich? Ein Kind machte einen Seitensprung gleich viel bedeutsamer, selbst wenn eine Schwanger schaft im Grunde nur die natürliche Folge daraus war. Aber Judith sah in Isabelle natürlich hauptsächlich die Eintagsfliege, der in den Schoß geworfen wurde, was ihr selbst vier Jahre lang versagt blieb, während ihre biologi sche Uhr langsam ablief.
»Es kann nicht von Ben sein«, behauptete Judith kalt. »Tu, was du tun musst, und beeile dich in Gottes Namen damit. Allmählich hängt mir das Ganze so zum Hals raus, dass ich bald gar nichts mehr davon hören will.« Abrupt stand sie auf, riss ihren weinroten Mantel von der Stuhl lehne und warf ihn sich auf dem Weg zur Tür mit einer zornigen Bewegung um die Schultern.
Max blieb noch eine Weile sitzen und bezahlte dann die Rechnung.
10
»Du kriegst allmählich einen ganz schönen Bauch«, sagte der alte Fons. »Ich möchte nicht mehr, dass du zu den Kälbern gehst, das ist mir zu gefährlich.«
Isabelle stützte sich in dem offenen Stall auf ihre Heugabel. Sie war gerade dabei, Stroh für die Kälber zu verteilen, die ihre Einstreu jeden Tag zu Matsch zerstampften. Sie schaute zu den Kälbern hinüber, die sie mit der Heugabel in eine Ecke getrieben hatte und die frech zurückstarrten, als warteten sie nur auf einen Moment der Unaufmerksamkeit, um sie spielerisch umzustoßen.
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