Isabelle
nickte der unsichtbaren Person auf dem Rücksitz zu und kam zu ihnen herüber.
Fons kratzte sich unter seiner Schirmmütze und murmelte: »Sieht ja aus wie der Kommissar ihrer Majestät.«
»Guten Tag«, grüßte der Chauffeur in gekünstelt jovialem Ton, während er krampfhaft versuchte, nicht mit seinen gewienerten Schuhen in die Limousinfladen zu treten. »Ich bin auf der Suche nach einer gewissen Juffrouw Mertens. Die soll hier wohnen.«
Er ließ seinen Blick kurz auf Isabelle ruhen, wandte ihn dann aber wieder ab, als komme sie nicht in Frage. Isabelle schwieg.
»Wer sagt das?«, fragte Fons.
»Wie bitte?«
»Wer behauptet, diese Person würde hier wohnen? Sind Sie von der Stadtverwaltung?« Unbekannten gegenüber reagierte Fons immer so, denn sie besaßen nicht die notwendige Erlaubnis, Isabelles Häuschen als ständiges Wohnhaus zu nutzen, und sie war noch nicht einmal hier gemeldet.
»Hier geht es nicht um etwas Offizielles«, sagte der Chauffeur. »Meine Chefin möchte sie gerne sprechen, sonst nichts.«
»Worum geht es denn?«
»Das hat sie mir nicht verraten«, antwortete der Chauffeur.
»Aha. Um wen handelt es sich denn?«
»Mevrouw Colijn.«
Der Name sagte Fons nichts. »Ich glaube nicht, dass hier eine gewisse Wie-war-noch-ihr-Name wohnt …«, begann er, aber Isabelle unterbrach ihn: »Ist schon gut, Fons, zeig ihnen ruhig den Weg.«
Sie eilte hinter den Ställen entlang, während der Chauffeur behutsam den Weg zurück suchte und Fons ihm in aller Ruhe folgte. Isabelle schlüpfte durch die Hintertür in ihr Häuschen, zog ihre Jacke und die Schuhe aus, wusch sich die Hände und bürstete sich vor dem Spiegel im Flur die Haare.
Sie ging ins Wohnzimmer. Dort herrschte ein ziemliches Durcheinander, aber es war wenigstens warm, seitdem Frans einen Gasofen installiert hatte. In der Spüle stand schmutziges Geschirr, ihr Schreibtisch war ein ein ziges Chaos, auf dem Sofa lagen Kleidungsstücke und auf einem Stuhl, der mit der Lehne zur Heizung stand, hing Unterwäsche zum Trocknen. Sie raffte die Kleidung zu sammen und legte sie in einem Haufen auf das Molton tuch, das auf dem Esstisch lag, packte noch das Bügelei sen dazu und trug das ganze Bündel in den Flur, wo sie es auf den Boden fallen ließ und mit dem Fuß hinter die Gardine des Schranks schob.
»Was für ein Blödsinn«, murmelte sie, während sie die Gardine über das Bündel drapierte.
Sie hörte das Schlagen von Autotüren unter dem Kas tanienbaum, zog sich den Pulli über den Kopf, hängte ihn an den Kleiderständer und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
Sie öffnete die Tür. Judith Colijn kam auf sie zu. Sie sah schick aus, attraktiv und schlank, in eleganten Stiefe letten und einem prachtvollen Pelzmantel in einem Grau ton mit silbrigem Glanz. Unechter Fuchs, nahm Isabelle an, aber garantiert von einem teuren Modehaus. Sie hatte grüne Augen und einen verkniffenen Mund, der geschickt mit hellrotem Lippenstift geschminkt war. Isabelle war sich dessen bewusst, wie sie selbst aussah.
»Hallo«, sagte Judith. »Ich bin Judith Colijn.« Isabelle erkannte, dass die Verkniffenheit ihres Mundes nicht von der Feindseligkeit ihr gegenüber herrührte, sondern von ihrer nervlichen Anspannung. Dadurch kehrte ihr Selbst vertrauen wieder zurück, oder besser gesagt veränderte es sich in eine Art Gleichgültigkeit, sodass ihr sogar das Skurrile in der Art und Weise auffiel, wie sie sich die Hand gaben.
»Ich bin Isabelle. Wird dem Mann da nicht kalt?«
Judith zog eine Augenbraue hoch und warf einen Blick über ihre Schulter zum Mercedes. »Er kann ja die Hei zung einschalten, nicht wahr?«
Isabelle ließ sie ein und nahm ihr den Pelzmantel ab, der schwer aussah, aber so gut wie nichts wog. Darunter trug Judith ein violettes Wollkostüm. Sie putzte sich aus giebig und wohlerzogen die Stiefeletten auf der rauen Fußmatte ab. Isabelle reichte an ihr vorbei, um die Wohnzimmertür aufzumachen, und roch dabei ihr Par füm, angenehm und diskret. Sie merkte, wie sie allmählich eine tiefe Abneigung gegen diesen ganzen geschmack vollen Reichtum zu entwickeln begann. Sie versuchte diese Abneigung festzuhalten und auszuweiten, weil sie spürte, dass sie dadurch gleichgültiger wurde und sich weniger den Kopf darüber zerbrach, was diese Frau wohl von ihr wollte.
Judith stand im Wohnzimmer und blickte sich um. Dabei versuchte sie, sich keinerlei Form von Urteil anmerken zu lassen.
»Ich fühle mich hier sehr wohl«, sagte Isabelle aufsässig.
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