Isabelle
Du natürlich nicht.« Dabei war das so ungefähr das Einzige, woran er noch glaubte. Nur half es einem leider nicht wesentlich weiter bei dem Versuch, einen Fall aufzuklären. Er schaute Isabelle an: »Kannst du dich noch an alle Einzelheiten dieses Tages erinnern?«
»Ja, natürlich«, antwortete sie beinahe beleidigt, und dann traten ihr die Tränen in die Augen und sie stammel te: »Sogar, dass vielleicht … wenn ich ihn nicht daran gehindert hätte, die Tür abzuschließen … er wollte sie zumachen …«
»Das ist doch Unsinn.« Max verfiel in ein unbehagli ches Schweigen und wartete, bis Isabelle mit ihrem Ta schentuch fertig hantiert hatte. »Das hätte auch nichts genutzt. Solche Leute lassen sich nicht durch eine ver schlossene Tür von ihrem Vorhaben abbringen.«
»Was für eine Art von Leuten?«
»Auftragskiller. Hast du ihn wirklich überhaupt nicht gesehen?«
»Nein. Dafür ging es zu schnell. Ich wurde geblendet. Ich habe auch nichts gehört. Noch nicht einmal den Schuss. Ich muss sofort das Bewusstsein verloren haben.«
»Genau deshalb bist du noch am Leben.«
Sie erwiderte seinen Blick. »Es gab eine Zeit, da wäre ich auch lieber tot gewesen.«
»Aber jetzt nicht mehr?«
Isabelle berührte ihren Bauch und lächelte unsicher. »Er hat mich nicht allein zurückgelassen.«
Es klang wie eine Phrase aus einer Seifenoper, aber nachdem sich Max von seinem Schrecken erholt hatte, wurde ihm klar, dass diese Worte wahrscheinlich exakt ihre Gefühle ausdrückten, und er lächelte sie ebenfalls an. »Machst du dir große Sorgen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin nur durcheinander. Ich würde gern die Erinnerung wach halten, ohne dass sie zu einer Last wird, die ich für den Rest meines Lebens mit mir herumschleppe. Ich wüsste gern, wie ich das an stellen soll. Ich kann das alles noch nicht in den richtigen Proportionen sehen. Ich möchte einfach mein Leben weiterleben. Das ist das Einzige, was mir Schwierigkeiten bereitet.«
Ihr innerer Kampf berührte ihn, aber ihm fiel nur ein klischeehafter Kommentar dazu ein. »Vielleicht wird es mit der Zeit besser.«
Sie nahm es positiv auf. »Das hoffe ich. Aber meine Erinnerungen sind hier drin.« Wieder berührte sie ihren Bauch. »Was wolltest du mich noch fragen?«
Max schwieg für einen Moment und fragte dann: »Ist dir aufgefallen, dass man euch verfolgt hat? Oder dass Ben beobachtet wurde?«
Sie dachte nach, ihr Gesichtsausdruck blieb sachlich. »Das hat mich die Polizei auch schon gefragt. Aber mir ist nichts aufgefallen.«
»Seid ihr zusammen von der Autobahnraststätte aus losgefahren?«
»Ja. Allerdings ist er zuerst rausgegangen. Ich musste mich vorher noch umziehen. Er hat im Auto auf mich gewartet. Als ich rauskam … Ich dachte für einen Moment, er wäre weg, weil ich ihn nicht sofort entdeckte. Auf dem Parkplatz saß noch ein anderer Mann in einem Auto, aber als ich hinging, sah ich, dass es kein BMW war. Dann bemerkte ich ein Stück weiter weg Bens Wagen.«
»Und der Mann in dem anderen Auto?«
»Er las Zeitung, die Herald Tribune.«
Futter für die Amerika-Theorie, dachte Max. Für die Frankreich-Theorie hätte eher der Figaro gesprochen. »Hast du sein Gesicht gesehen?«
»Er war dunkelhäutig, vielleicht ein Surinamer.«
In den Niederlanden kam man schnell auf Surinamer. »Fandest du es nicht merkwürdig, dass dieser Mann direkt vor einer Raststätte im Auto die Zeitung las, obwohl er genauso gut hineingehen und das bei einer Tasse Kaffee hätte tun können?«
Sie runzelte die Stirn. »Merkwürdig?« Sie schüttelte den Kopf.
Natürlich war die Frage lächerlich. Alles an diesem Tag war für sie ebenso merkwürdig wie unvermeidlich gewesen.
»Was war das für ein Auto, weißt du das noch?«
»Ich kenne mich nicht gut mit Automarken aus. Es war ein großer Wagen, ich glaube, dunkelgrün.«
»Hatte er ein ausländisches Nummernschild?«
»Ich denke nicht, das wäre mir wahrscheinlich aufgefallen.«
Ein Leihwagen, dachte Max. Oder einfach ein Mann, der in seinem eigenen Auto Zeitung las, weil er keine Lust auf Kaffee hatte und nur jemanden abholen wollte.
In der kultivierten Autobahnraststätte bei Utrecht, die Judith ausgesucht hatte, weil sie nicht bereit gewesen war, ihm weiter entgegenzukommen als auf halbem Weg, erstattete Max Bericht über sein Vorgehen und seine Vermutungen. Sie reagierte gereizt.
»Inzwischen ist es so lange her, dass doch niemand mehr dahinter kommt«, kommentierte sie spitz. »Das ist doch
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